"Umsatzsteuerkarussell"
02.05.2011, 11:12 Uhr
So schützen sich Fachhändler vor Betrügern
Der organisierte Umsatzsteuerbetrug nimmt beständig zu - oft werden dabei unschuldige Händler als "Buffer" in die Geschäfte eingebunden. Telecom Handel zeigt, wie sich Reseller vor diesen Betrügern schützen können.
Pro Jahr verliert der Staat mehr als 30 Milliarden Euro an Steuern durch Umsatzsteuerkarussellbetrug – so die Schätzung von Experten. Entsprechend groß ist die Motivation der Finanzbehörden zu deren Aufdeckung. Vor allem Händler sind dabei im Visier der Steuerfahnder, das gilt insbesondere für den Mobilfunk-, aber auch für den Computerchannel. „Wer in diesem Bereich tätig ist, läuft stets Gefahr, ungewollt mit Kriminellen eines Umsatzsteuerkarussells in Geschäftskontakt zu kommen“, warnt Dirk Beyer, Rechtsanwalt bei der Sozietät Konlus in Bergisch Gladbach und Experte für Steuerrecht. Doch was steckt eigentlich hinter dem Begriff „Umsatzsteuerkarussell“?
Grundlage des Betrugs ist unser Umsatzsteuersystem. Jeder Händler kennt das Prinzip: Er berechnet beim Verkauf von Waren und Dienstleistungen seinen Kunden 19 Prozent Mehrwertsteuer, die er an das Finanzamt abführt. Aber auch er ist verpflichtet, beim Einkauf Steuern zu bezahlen – diese Vorsteuer wird mit der Steuer, die er von Kunden einnimmt, gegengerechnet – Stichwort Vorsteuerabzug. Bei einem Umsatzsteuerkarussell werden Waren von Händlern, die jeweils zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, im Kreis verkauft. Der Schaden entsteht dadurch, dass ein Unternehmen planmäßig seine Umsatzsteuerzahllast nicht an die Finanzverwaltung entrichtet und „untertaucht“ – im Fachjargon wird dieser Händler „Missing Trader“ genannt, erklärt der Braunschweiger Rechtsanwalt Dominik Ossada.
Häufig werden zudem Unternehmen in verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU eingebunden, weil durch die Berechnung der Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Geschäften die Betrugsabsichten begünstigt werden. „Dieses schnelle mehrfache Durchschleusen zwischen mehreren Beteiligten gibt dem System seinen Namen: Karussell“, so Beyer. Finanzämter stellt dieses Beziehungsgeflecht vor eine große Herausforderung.
Schuldlos im Visier der Steuerfahnder
Auf jeden Fall aber versuchen sie, den Ring zu sprengen – und nehmen dabei den kompletten Warenfluss genau unter die Lupe. Dabei kann es vorkommen, dass auch Unternehmen ins Visier der Steuerfahnder kommen, die in gutem Treu und Glauben diese Waren gekauft haben, die sogenannten „Buffer“. Letztendlich haben sie sich nichts zuschulden kommen lassen, die bezahlte Umsatzsteuer ordnungsgemäß mit der eingenommenen verrechnet. Dennoch stehen auf einmal die Steuerfahnder vor der Tür, zeigen einen Durchsuchungsbeschluss vor und verlangen Einsicht in alle Geschäftsunterlagen – der Schock sitzt tief.
Rechtsanwalt Beyer rät in diesem Fall, zuerst einmal von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen und einen Rechtsanwalt oder Steuerberater hinzuzuziehen. „Die Durchsuchung an sich kann in der Regel nicht verhindert werden, wenn ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorliegt“ erklärt der Experte. In den meisten Fällen wird auch bei einem Buffer ein Steuerverfahren eingeleitet, in dem dieser seine Unschuld beweisen muss. „Eine Verurteilung scheidet jedoch mangels Vorsatzes aus, wenn nicht mindestens ein Eventualvorsatz nachweisbar ist“, beruhigt Beyer.
Deutlich dramatischer skizziert hingegen der Braunschweiger Rechtsanwalt Dominik Ossada die Situation: „Gerät ein Buffer in das Visier der Steuerfahnder, so steht seine gesamte Existenz auf dem Spiel.“ Denn zunächst geht die Steuerfahndung anhand der Indizien davon aus, dass der Buffer wissentlich Teil des Karussells ist, und leitet ein Strafverfahren ein.
Umfassender Schutz nicht realistisch
Auf der sicheren Seite ist also nur der Händler, der sorgfältig seine Lieferanten prüft. Allerdings werden die Tricks und Betrügereien der Missing Trader immer ausgefeilter. Ein umfassender Schutz sei daher nicht realistisch, erklärt Beyer – aber zumindest ein eingeschränkter: In erster Linie heißt dies, neue Geschäftspartner eingehend zu prüfen, bevor man einen Kaufvertrag unterzeichnet.
Fatal hingegen kann es sein, wenn ein Händler spontan auf ein besonders günstiges Angebot eines bis dahin unbekannten Lieferanten eingeht. Denn hier besteht immer die Gefahr, ungewollt die Rolle des Buffers zu übernehmen. „Aber auch bereits bekannte Geschäftspartner können – auch unwissentlich – Teil eines Karussells und damit ‚infiziert‘ werden, so dass sich Risiken für den Händler ergeben“, warnt Beyer.
Augen auf beim Hardware-Kauf
Um nicht arglos zum Buffer in einem Umsatzsteuerbetrug zu werden, sollten Händler ihre Lieferanten prüfen.
- Briefkastenfirma oder „echter“ Lieferant: Viele Missing Trader führen nur Scheingeschäfte aus, haben in vielen Fällen nicht einmal ein eigenes Firmengebäude. Händler sollten deshalb bei neuen Lieferanten nach Referenzen fragen, sich gegebenenfalls Fotos des Firmensitzes zeigen lassen oder diesen besuchen, um sich vor Ort davon zu überzeugen, dass es sich nicht um eine Briefkastenfirma handelt. Vorsorglich sollten Reseller zudem alle geführten Gespräche sorgfältig dokumentieren.
- IMEI-Nummern notieren: Zudem sollten Händler darauf achten, dass die Geräte-Identifikationsnummern in den Ein- und Ausgangsrechnungen aufgeführt werden, da deren Fehlen nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums als Indiz für einen Umsatzsteuerbetrug gewertet werden kann. Zwar ist diese Ansicht laut Rechtsanwalt Dirk Beyer umstritten – doch sicher ist sicher. Wer besonders sicher gehen möchte, sollte in ein Computerprogramm investieren, das die IMEI-Nummern der gelieferten Geräte überprüft. Anbieter wie die Neo Secure GmbH (www.neosecure.de) wiederum prüfen anhand der IMEI-Nummer, welchen Weg die Ware zurückgelegt hat, bevor sie beim Händler ankommt.
- Vorsicht bei Lockangeboten: Je größer der Umsatz aus einem Geschäft sein wird und je unbekannter der Lieferant ist, desto sorgfältiger sollte ein Händler bei den Recherchen und Dokumentationen sein.