Marktforschung 13.06.2023, 14:30 Uhr

Eine Branche wird grün

Arndt Polifke von ­Infas quo zeigt auf, wie wichtig das ­Thema Nachhaltigkeit für die Verbraucher ist und wo die Elektronik-Industrie dabei steht.
(Quelle: Fabio Alcini/Shutterstock)
Es gibt wohl kaum jemanden, der den Begriff Nachhaltigkeit noch nicht gehört hat. Unternehmen werben damit, wie „grün“ sie sind, manche verkaufen plötzlich auch Selbstverständlichkeiten unter diesem Aspekt. Für manche bezieht sich Nachhaltigkeit nur auf die Umwelt oder den CO2-Ausstoß, andere wollen auch soziale Aspekte wie die Arbeitsbedingungen mit einbeziehen.
Wie verstehen die Verbraucher, was hinter dem Begriff steht, und wie weit sind sie bereit, für nachhaltige Produkte einen Aufpreis zu bezahlen? Telecom Handel erhielt dazu gerade mit Bezug auf TK-Produkte wie Smartphones interessante Umfrageergebnisse von Arndt Polifke, Director New Business beim Meinungsforschungsinstitut Infas quo, der seit vielen Jahren in den Bereichen CE und TK Analysen erstellt – und sprach mit ihm darüber, wie nachhaltig die Elektronikhersteller sind.
Telecom Handel: Was verstehen Sie unter dem allgemein so oft gebrauchten Begriff ‚Nachhaltigkeit‘?
Arndt Polifke: Vor allem die ressourcenschonende Ausrichtung in allen Phasen des Lebenszyklus von Produkten und deren Wahrnehmung durch die Konsumenten. Das beginnt vor dem Kauf: Alle Stufen des Entwicklungs-, Herstellungs- und Logistikprozesses müssen beachtet werden, von der Reduzierung des CO2-Ausstoßes bis zu fairen Arbeitsbedingungen. Bei der Verwendung der Produkte geht es unter anderem um den Energieverbrauch, die Emissionen und die Reparierbarkeit. Nach der Verwendung müssen die Recyclingfähigkeit oder die Möglichkeit, generalüberholt zweitverwendet zu werden, bestehen.
Arndt Polifke, Director New Business bei dem Marktforschungsunternehmen Infas quo
Quelle: Infas quo
TH: Wie nehmen die Verbraucher den Begriff wahr, und welche Rolle spielt er für sie?
Polifke: Nachhaltigkeit ist aktuell in aller Munde. Für Konsumenten zählen dazu am ehesten die Recyclingfähigkeit von Produkten und die umweltschonende Produktion, sowie die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen. Dies sieht mehr als jeder Zweite, den Infas quo im April in einer repräsentativen Studie hierzu befragt hat, als die wichtigsten Elemente der Nachhaltigkeit. Andere Facetten wie Fair Trade, gute Arbeitsbedingungen und Umweltaktivitäten von Unternehmen werden von einem geringeren Anteil der Bevölkerung – etwa 30 Prozent – als zentrale Aspekte gesehen, die man mit Nachhaltigkeit in Verbindung bringt.
TH: Sehen Sie Nachhaltigkeit noch in der gleichen Priorität wie vor der hohen Inflation oder sparen jetzt wieder mehr Menschen auf Kosten der Umwelt?
Polifke: Als Entscheidungskriterium beispielsweise beim Kauf von Smartphones rangiert die Nachhaltigkeit des Produkts nicht an erster Stelle. Nur 23 Prozent geben an, dies sei ein sehr wichtiges Kriterium beim letzten Kauf gewesen, das ist nur Rang sieben von elf Kriterien, die zur Wahl standen. Eng verwobene Themen wie Qualität rangieren aber ganz oben (sehr wichtig für 64 Prozent der Befragten), zudem der Energieverbrauch auf Platz fünf. Implizit ist Nachhaltigkeit damit schon ausschlaggebend, aber man denkt dabei erst einmal mehr an seinen eigenen Benefit als an die Umwelt. Der Preis rangiert übrigens nur im vorderen Mittelfeld auf Platz vier, es ist also ein bedeutender, aber nicht der Hauptaspekt – trotz Inflation und gestiegener Energiekosten.
TH: Sind Verbraucher bereit, einen Aufschlag für nachhaltige Produkte zu bezahlen, und wie hoch könnte dieser sein?
Polifke: In der Konsumentenbefragung, die wir ganz aktuell im April durchgeführt haben, fragten wir nach dem Preisaufschlag, den Konsumenten bereit wären, für ein 400 Euro teures Smartphone zu bezahlen, wenn dieses auch nachhaltig wäre. Für über die Hälfte der Befragten wäre ein Aufpreis von 40 Euro akzeptabel, und jeder Vierte gibt an, sogar über 80 Euro zu akzeptieren. Übrigens gibt es eine auffällig höhere Bereitschaft seitens junger Konsumenten unter 29 Jahren, für nachhaltige Produkte ­einen Aufschlag zu bezahlen. Hier würden zwei Drittel einen Aufschlag von 40 Euro beziehungsweise gut ein Drittel sogar einen Aufpreis von 80 Euro akzeptieren.
TH: Sehen Sie eine breite Bereitschaft der Endkunden zum Kauf gebrauchter Smartphones und Tablets? Wenn ja, was ist ihnen dabei wichtig?
Erfahrungen der Endkunden
Quelle: Telecom Handel
Polifke:
Auf jeden Fall! Dieser Markt boomt. Heute geben knapp ein Drittel der Befragten an, in den letzten Jahren ein refurbishtes Gerät gekauft zu haben, am häufigsten sind dies Smartphones. Und der Anteil der Bevölkerung, der heute schon grundsätzlich offen dafür ist, ist doppelt so hoch. Wir werden also weiter starkes Wachstum sehen, auch bei Hausgeräten und CE-Produkten. Als wichtigstes Argument wird von etwa drei Viertel der Käufer refurbishter Elektronikgeräte der Preisvorteil gegenüber neuen Produkten genannt, während der Nachhaltigkeitsgedanke als zweitwichtigstes Argument für die Hälfte der Käufer ausschlaggebend war. Immerhin ist Nachhaltigkeit damit wichtiger als das Vorhandensein einer Garantie und die sofortige Verfügbarkeit.
TH: Werden längere Nutzung und Refurbishment den Neugerätemarkt treffen?
Polifke: Zweifelsfrei ist das so. Längere Nutzungsdauern reduzieren das Marktvolumen, das ist simple mathematische Logik. Und ein Käufer eines refurbishten Geräts wird erst einmal nicht parallel ein neues Gerät für denselben Einsatzzweck kaufen. Also auch dies hat Einfluss auf die Nachfrage nach Neugeräten. Aber wir haben gesehen, ­welches Potenzial in diesem Markt liegt. ­Daher gilt es, an der wachsenden Nachfrage zu partizipieren und entsprechende Geschäftsmodelle zu entwerfen. Das Thema wird ­daher inzwischen auch von Herstellern aufgegriffen, die eine zweite Angebotsschiene entwickeln, parallel zum Vertrieb von Neugeräten.
TH: Wie nachhaltig sehen Sie die Elektronikhersteller, vor allem im Bereich Telekommunikation?
Polifke: Elektronikhersteller sind dabei, ihre Hausaufgaben zu machen. In einigen Bereichen sind sie sehr weit vorne – beispielsweise sind die Energielabels im Bereich von Haushalts- und TV-Geräten seit Jahren als Gütemaß etabliert, und diese Sichtbarkeit des Energieverbrauchs beeinflusst auch Kaufentscheidungen. Das führt zu einem Bestreben der Hersteller, in diesem Kriterium gut abzuschneiden. Im Bereich der Smartphones gibt es Licht und Schatten: Auf der Minus-Seite steht das Thema des geringen Energieverbrauchs nicht so sehr im Fokus, und sie stehen in Bezug auf die Verwendung bestimmter Rohstoffe wie seltener Erden wegen der intransparenten Umstände bei der Gewinnung in der Kritik. Auf der anderen Seite gibt es kaum einen Bereich – vom Automarkt vielleicht abgesehen –, wo für die Zweitverwendung so ein professionelles Geschäftsmodell geschaffen wurde wie im Bereich ITK. Insofern ist die TK Branche auch wieder relativ ‚grün‘.
TH: Wie nachhaltig können Smartphones sein, wenn ein Großteil der Komponenten in China hergestellt wird? Besteht nicht die Gefahr von Greenwashing?
Polifke: Die Situation unterscheidet Smartphones nicht von jeder anderen Warengruppen im Consumer-Technology-Segment, denn China ist Hauptproduktionsland für fast alle digitalen Technikmärkte. Der Umwelt- oder Nachhaltigkeitsgedanke im Zusammenhang mit der Bedeutung Chinas als Produktionsstandort ist sicher nur ein Aspekt von vielen – aus politischen Gründen steht der Wunsch, unabhängiger von China zu werden, ja ohnehin ganz oben auf der Agenda. Zumindest könnte man heute – mehr denn je – mit dem altbekannten ­Gütesiegel ‚Made in Germany‘ punkten. Was eher mittelfristig als kurzfristig eine Option darstellen dürfte, aber es wäre lohnend, die Optionen zu prüfen.
TH: Spielen explizit nachhaltige Produkte wie das Fairphone eine Rolle am Markt?
Kaufkriterien Für Smartphones
Quelle: Telecom Handel
Polifke:
Ja, wenngleich sich diese Rolle nicht ausschließlich durch den Anteil an den Abverkäufen ausdrückt: Es gibt immer wieder Unternehmen oder Produkte, die eine wichtige Pionierrolle einnehmen. Da gehören Anbieter explizit nachhaltiger Technologieprodukte sicher dazu. Idealerweise kreieren solche Innovationen ganz neue Märkte – zum Beispiel TomTom, die den Markt für portable Navis in Schwung gebracht haben –oder setzen zumindest Impulse für neue Trends, denen mittelfristig die etablierten Player folgen – zum Beispiel Tesla. Was man im Smartphone-Markt als Besonderheit sehen muss: Es gibt hier einen relevanten Beitrag durch das Angebot von refurbishten Produkten und entsprechende Programme, so dass es hier verschiedene Wege gibt, etwas ‚für sein grünes Gewissen‘ zu tun. Aber noch mal: Es ist superwichtig, dass es solche Firmen gibt, die das Thema in die Medien und den Markt tragen und Diskussionen und Nachfrage entfachen. Das sorgt für einen entsprechenden Consumer-Pull. Es wäre toll, ein breiteres Angebot ‚fairer‘ Elektrogeräte zu finden, auch in anderen Warengruppen.
TH: Wie beurteilen Sie Device-as-a-Service im Privatkundenbereich, zum Beispiel Nokia Circular?
Polifke: Wie bei der Frage nach fairen Smartphones gilt auch hier: Gut, dass jemand den Anfang macht. Jemand muss es als Erster versuchen und Lösungen anbieten, die auch einen Wandel der Werte auf Seiten der jüngeren Konsumenten reflektieren. Zumal der zeitlich unbefristete Besitz von Gütern jüngeren Generationen ­­(Y und Z) auch nicht so wichtig ist, schon gar nicht in Form von Statussymbolen. Dinge nur kürzer zu besitzen und sie dann weiterzureichen liegt daher im Trend, das reicht von Car-Sharing bis hin zu Second-Hand-Mode. Die Consumer-Electronics-Welt steht da ­sicher erst am Anfang neuer Marktentwicklungen.
TH: Welche Rolle würde ein Zwang zur Reparatur spielen, wie ihn die EU-Kommission anstrebt?
Polifke: Erst einmal muss man sehen, dass es absolut sinnvoll ist, der Entsorgung aller möglicher Elektro- und Haushaltsgeräte nach zum Teil sehr kurzen Nutzungsdauern entgegenzuwirken. Zumal unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Recycling­quoten noch Luft nach oben haben. Infas quo hat in einer repräsentativen Konsumentenbefragung im April 2023 ermittelt, dass zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung in den vergangenen zwei Jahren gerne Geräte reparieren lassen wollten und dies aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich oder wirtschaftlich war – das gilt für jede Warengruppe, vom PC-Monitor bis zur Waschmaschine. Ausschlaggebend war in der Hälfte der Fälle, dass die Reparatur zu teuer gewesen wäre. Bei einem Drittel war sie nicht möglich gewesen.  
In digitalen Märkten, aber auch bei Haushaltskleingeräten sprechen wir beim Großteil der Produkte über Lebenszyklen von zwei bis vier Jahren, manchmal sogar nur von einem Jahr.  Für die Hersteller wird es also eine größere Herausforderung sein, die Ersatzteile für so schnell drehende Generationen über einen langen Zeitraum vorzuhalten. Ich erwarte daher mehr Standardisierung und könnte mir vorstellen, dass die Entwicklung von Produkt-Plattformen noch weiter voranschreiten wird. Insgesamt wird es auf das technische Design große Auswirkungen haben, speziell in den Bereichen, wo heute kaum Reparaturen möglich sind. 

Hintergrund

Der Dienstleister Infas quo bietet digitale und agile Full-Service-Marktforschung. Mit selbst erhobenen Daten und strategischer Beratung erstellt die Tochter der Infas-Gruppe ihren Kunden individuelle Insights mit hoher Qualität. Schwerpunkt und Expertise von Infas quo liegt auf ausgewählten Branchen wie Finance, Telecom, Consumer Electronics, Retail und Fashion.
Arndt Polifke ist Director New Business bei dem Marktforschungsunternehmen Infas quo. Seine Expertise in TK und CE beruht auf fast 30 Jahren internationaler Marktforschung für Global Player und das gesamte Spektrum des Tech-Kundenbereichs. Er hatte verschiedene internationale Management-Positionen inne, unter anderem als Global Director Telecom bei der GfK, wo er für Aktivitäten in mehr als 80 Ländern verantwortlich war. Zuletzt etablierte er als Geschäftsführer die ­Niederlassung des finnischen Marktforschungsinstituts Innolink im deutschen Markt.