Zertifizierungen
01.06.2023, 08:18 Uhr
Es gibt keinen Standardweg, um Nachhaltigkeit zu bestätigen
Nachhaltig ITK-Ausrüstung und -Dienstleistungen zu beschaffen, ist für alle Beteiligten anspruchsvoll. Doch es gibt einige Möglichkeiten.
Viele Kunden achten mittlerweile auf nachhaltige Beschaffungskriterien, wenn sie ITK-Produkte und -Dienstleistungen einkaufen. Große Unternehmen, die der Berichtspflicht zu Corporate Social Responsibility (CSR) unterliegen, verlangen von ihren Lieferanten entsprechende Bestätigungen. Gesetze und Regelungen zum Klimaschutz haben darüber hinaus auch Auswirkungen auf die Auftragsvergabe von Kommunen und Ministerien auf Landes- und Bundesebene. Kurz: In Ausschreibungen für den Einkauf von Informations- und Kommunikationsprodukten (ITK) steigen die Anforderungen an Nachhaltigkeit. Wie können ITK-Systemhäuser darauf reagieren? Welche Zertifizierungen oder Audits können bestätigen, dass sie beziehungsweise ihr Angebot an Produkten und Dienstleistungen nachhaltig sind?
Nicole Diehlmann, beim IT-Dienstleister Bechtle für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zuständig, beobachtet, dass die Zahl der Nachhaltigkeitsanforderungen sowie die dafür vergebenen Punkte in öffentlichen Ausschreibungen steigen. Je nach Institution setzen die Auftraggeber unterschiedliche Schwerpunkte.
Die drei Säulen der Nachhaltigkeit
Denn Nachhaltigkeit bezieht sich nicht ausschließlich auf den Umwelt- und Klimaschutz, sondern umfasst drei Säulen: ökologische und ökonomische Gesichtspunkte sowie soziale Aspekte. „Wenn wir über nachhaltige Beschaffung sprechen, betrachten wir das Thema in seiner Breite: von Umwelt- und Klimaschutz bis hin zur Einhaltung der Menschenrechte entlang der Wertschöpfungskette. Dieses Verständnis hat sich nicht nur in der ITK-Branche, sondern generell etabliert“, erklärt Diehlmann.
Unternehmen verlangen zunehmend, dass ihre Lieferanten einen Kodex unterzeichnen. Der Kodex verpflichtet die Lieferanten, sich an entsprechende Gesetze, Regeln und Vorgaben zu halten. Abgefragt werden in der Regel folgende Themenkomplexe: Anti-Korruptionsmaßnahmen, Umwelt- und Klimaschutz sowie Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette wie zum Beispiel Arbeitssicherheit, Nicht-Diskriminierung, Verbot von Kinderarbeit.
Keine explizite Nachhaltigkeits-Zertifizierung
Die Schwierigkeit ist allerdings, dass es für den Nachweis der Nachhaltigkeit eines Unternehmens keinen Standardweg gibt. Denn es gibt keine explizite Nachhaltigkeits-Zertifizierung. Die ISO-Norm 26000 beispielsweise stellt zwar einen Handlungsleitfaden für Sustainability und soziale Verantwortung bereit, doch sie ist nicht zertifizierbar – im Gegensatz zu einer Reihe anderer Normen, die Nachhaltigkeitsthemen berühren.
Dazu kommt: Eine ISO-Zertifizierung ist ein längerer Prozess. Der Audit kostet Geld. Kleinere IT-Dienstleister dürften deshalb oft darauf verzichten. Um das eigene Unternehmen dennoch auf mehr Nachhaltigkeit zu „trimmen“ und sich allgemein mit dem Themenkomplex zu befassen, könnten sich ITK-Systemhäuser am jeweiligen Leitfaden für die ISO-Norm orientieren, ohne den kostenpflichtigen Zertifizierungs-Audit zu durchlaufen.
„Verpflichtungserklärung 2019“ als Muster
Die Funktion, die ein Verhaltenskodex für Lieferanten in der Kundenbeziehung zwischen Unternehmen hat – nämlich zu bestätigen, dass sich das Unternehmen an ökologische und ethische Vorgaben hält –, übernimmt im ITK-Beschaffungsprozess von Bund, Ländern und Kommunen die „Gemeinsame Erklärung zur sozialen Nachhaltigkeit im IT-Einkauf der öffentlichen Hand“. Sie wird auch als „Verpflichtungserklärung 2019“ bezeichnet und wurde vom Beschaffungsamt des BMI (Bundesministerium des Innern) gemeinsam mit dem ITK-Verband Bitkom e.V. erstellt. Die Verpflichtungserklärung listet die Anforderungen an Arbeits- und Sozialstandards in der öffentlichen ITK-Beschaffung auf. Sie kann in Ausschreibungen eingebunden werden.
Ralf Grosse aus der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung im Beschaffungsamt des BMI beobachtet, dass das Interesse an der Einbindung nachhaltiger Aspekte bei der Beschaffung von Informations- und Kommunikationstechnik bei allen öffentlichen Auftraggebern sehr hoch sei. An konkreten Zahlen lässt sich das zwar nicht festmachen. Doch Grosse liest das an den Anfragen bei der Kompetenzstelle nachhaltige Beschaffung ab und am Interesse an entsprechenden Schulungen, die die Kompetenzstelle anbietet.
Für die nachhaltige Beschaffung von Informations- und Kommunikationstechnologie gibt es keine typische Vorgehensweise. Das liege auch daran, welche Vorgaben jeweils berücksichtigt werden müssen, erklärt Grosse. Hinzu komme, dass die Berücksichtigung aller drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökologie, Soziales, Ökonomie) oftmals nicht bei allen Produkten beziehungsweise Dienstleistungen gleichrangig erfolgen könne. Öffentliche Auftraggeber, die Nachhaltigkeitsaspekte bei der Beschaffung von ITK-Produkten stärker berücksichtigen wollen, finden Material dazu auf dem Internet-Portal www.nachhaltige-beschaffung.info.
Nachhaltige Beschaffung aus Sicht von ITK-Systemhäusern
Plant ein ITK-Systemhaus, als Anbieter an einer Ausschreibung teilzunehmen, ist es hilfreich, sich mit den Praxisbeispielen und Leitfäden des Portals Nachhaltig-Beschaffung.info auseinanderzusetzen. „IKT-Systemhäuser sollten ihr Produktangebot so ausrichten, dass Nachhaltigkeitsgesichtspunkte abgedeckt sind“, empfiehlt Grosse.
Konkret heißt das: Produkte, die das Unternehmen anbietet, sollten mit Gütezeichen wie dem nationalen Umweltzeichen „Blauer Engel“, dem EU-Umweltzeichen „EU Ecolabel“ oder „TCO certified“, eine Nachhaltigkeits-Zertifizierung für IT-Produkte, versehen sein. Bei der Berücksichtigung von Energieeffizienz kommt auch das Gütezeichen „Energy Star“ in Betracht. Zur Berücksichtigung sozialer Aspekte sollten Systemhäuser die Hersteller wiederum zu möglichen Zertifikaten, basierend auf den Standards wie von SAI (Social Accountability International) oder RBA (Responsible Business Alliance) ansprechen.
Grosse rät zudem, dass sich ITK-Systemhäuser über aktuelle Forderungen informieren sollten. Größere öffentliche Auftraggeber führen dazu auch „Marktdialoge“ durch. Sie geben damit den potenziellen Bietern die Möglichkeit, ihr Produkt- oder Leistungsangebot entsprechend den Anforderungen zu konfigurieren. Auch politische Programme oder Regelungen in Verbindung mit der Beschaffung von ITK können Hinweise zu neuen Anforderungen an Nachhaltigkeit geben, so dass ITK-Dienstleister ihr Portfolio entsprechend anpassen und umgestalten können.
Eine Zertifizierung für Nachhaltigkeit gibt es, wie gesagt, nicht. Doch das Vergaberecht lässt zwei bekannte Umwelt-Management-Systeme zu, führt Grosse aus. Diese sind das europäische Umwelt-Management-System „EMAS“ (Eco-Management and Audit Scheme) und die internationale Umwelt-Management-Norm „ISO 14001“.
Ecovadis Scorecard als weiteres Siegel
Nicole Diehlmann von Bechtle weist in diesem Zusammenhang auf eine weitere Möglichkeit hin, wie Unternehmen zeigen können, dass sie nachhaltig agieren und auf Nachhaltigkeitsaspekte achten: eine Bewertung von Ecovadis. Ecovadis SAS ist ein französisches Unternehmen, das Nachhaltigkeitsbewertungen von Unternehmen durchführt. Die Bewertung kann für das eigene Unternehmen, aber auch für Lieferanten vorgenommen werden.
Mit einem dokumentenbasierten Audit weisen Firmen gegenüber Ecovadis nach, wie sie Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Daraufhin erhalten sie von Ecovadis eine Scorecard (Bewertung). Diesen Score können sie dann für die Kommunikation gegenüber anderen Unternehmen verwenden. Die Bechtle Gruppe hat beispielsweise für 2023 das Ecovadis-Label „Silber“ mit 67 von 100 Punkten erhalten.
So aufwendig, vielschichtig und unübersichtlich der Nachweis von Nachhaltigkeit derzeit auch ist, eines ist sicher: Nachhaltigkeitsaspekte werden künftig noch wichtiger werden. Nationale Gesetze und europäische Vorgaben haben einen großen Einfluss auf Geschäftsprozesse und auf die Beschaffung. Beispiele dafür sind das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz, das in Deutschland Anfang 2023 in Kraft getreten ist und dem bald ein europäisches Pendant folgen wird. Auch die reformierte Corporate-Social-Responsibility-Berichtspflicht verpflichtet künftig mehr Unternehmen, über ihre Nachhaltigkeitsstrategie Auskunft zu geben.
Diese Gesetze und Verordnungen stoßen wiederum einen Schneeballeffekt an: Große Unternehmen verlangen von ihren Lieferanten, dass sie nachweisen, wie sie Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Deshalb ist es auch für kleine und mittelständische Unternehmen unabdingbar, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen – um sich für entsprechende Anforderungen schon jetzt zu rüsten.
Normen für Nachhaltigkeit
- ISO 9001: Qualitätsmanagement
- ISO 14001: Umwelt-Management
- ISO 45001: Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
- ISO 27001: Informationssicherheits-Management
- ISO 37301: Compliance-Management
- ISO 50001: Energie-Management
- DIN EN 50600: Planung, Neubau und Betrieb eines Rechenzentrums