Sustainability
28.08.2023, 09:39 Uhr
Große Unternehmen geben meist den Ton an
Der Klimawandel und die geopolitische Situation haben zu einem Umdenken in Bezug auf Nachhaltigkeit geführt. Das gilt auch für Systemhäuser.
Die nachhaltige Beschaffung von Informations- und Kommunikationstechnologie (ITK) gewinnt an Bedeutung. Vor allem in größeren Unternehmen und auch bei öffentlichen Ausschreibungen fordern die Auftraggeber dafür Belege. Telecom Handel hat darüber im Interview mit Nicole Diehlmann gesprochen. Sie ist beim ITK-Dienstleister Bechtle für die Nachhaltigkeitskommunikation und -berichterstattung zuständig.
Telecom Handel: Nachhaltige Beschaffung und ITK-Produkte sowie -Lösungen klingen eigentlich widersprüchlich ...
Nicole Diehlmann: Eine nachhaltige Beschaffung ist für uns als ITK-Dienstleister und Handelsunternehmen von ITK-Produkten dennoch ein wichtiger Aspekt. Wir betreiben ja keine eigenen Produktionsstätten und haben nur mittelbaren Einfluss auf Produktionsbedingungen oder den Transport. Deshalb setzt unsere nachhaltige Beschaffungsstrategie zum einen auf die Bewertung der Lieferanten über die Prüfer von Ecovadis, die Nachhaltigkeitsprüfungen für Unternehmen durchführen, und zum anderen auf den Dialog mit unseren Herstellerpartnern und Distributoren. Nur so können wir gemeinsam Ziele definieren und Maßnahmen entwickeln. Unser eigener Lieferantenkodex leistet dazu einen wesentlichen Beitrag. Er ist ein Instrument, das uns dabei hilft, unsere Anforderungen an eine nachhaltige Beschaffung unseren Herstellerpartnern und Distributoren darzulegen.
Nicole Diehlmann ist beim ITK-Dienstleister Bechtle für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zuständig
Quelle: Bechtle
Diehlmann: Eine explizite Nachhaltigkeitszertifizierung gibt es bisher nicht. Die ISO 26000 ist lediglich ein Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung. Er dient als Orientierung für Unternehmen, die ein Nachhaltigkeitsmanagement aufbauen möchten. Inzwischen bieten einige Dienstleister eigens entwickelte Nachhaltigkeitszertifizierungen an, die sich an ISO 2600, GRI Standards und den Sustainable Development Goals (SDGs) der UN orientieren. Im ITK-Bereich finden Sie, wie auch in anderen Branchen, gängige Zertifizierungen, die Nachhaltigkeitsthemen abdecken, beispielsweise ISO 27001 (Informationssicherheit), ISO 14001 (Umweltmanagement) oder ISO 45001 (Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz). Daneben spielt die Bewertung durch das internationale Nachhaltigkeits-Rating Ecovadis eine zunehmend wichtige Rolle. Die Bechtle Gruppe hat für 2023 das Ecovadis-Label Silber mit 67 von 100 Punkten erhalten. Mit diesem Ergebnis gehören wir bei Ecovadis zu den oberen fünf Prozent der Branche.
TH: Wie wird „Nachhaltigkeit“ in Ausschreibungen für die ITK-Beschaffung typischerweise als Kriterium erwähnt?
Diehlmann: Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Die Vorgehensweise und Gewichtung der Einzelthemen von Unternehmen, aber auch öffentlichen Auftraggebern, sind sehr unterschiedlich. Was ein Unternehmen von seinen Lieferanten erwartet, hängt sehr eng mit den Zielen der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie zusammen. Wir beobachten, dass Unternehmen zunehmend als Basis der Geschäftsbeziehung verlangen, dass Lieferanten ihre Unternehmenskodizes unterzeichnen. Ob die unterzeichneten Punkte auch tatsächlich umgesetzt werden, prüfen viele über den Nachweis von Zertifizierungen und/oder über Plattformen wie Ecovadis, IntegrityNext oder NQC.
TH: Wenn Nachhaltigkeit in einer Ausschreibung gefordert wird, wie weist Bechtle die Anforderungen nach?
Diehlmann: Wir weisen nachhaltiges Wirtschaften zum einen über Zertifizierungen nach, zum anderen über unsere Bewertung bei Ecovadis. Darüber hinaus berichten wir seit 2015 unseren Fortschritt transparent in einem jährlich erscheinenden Nachhaltigkeitsbericht. Seit dem Geschäftsjahr 2022 legen wir unsere nicht finanziellen Informationen integriert im Geschäftsbericht dar.
TH: Wohin bewegen sich die Anforderungen an Nachhaltigkeit in der ITK-Branche?
Diehlmann: Die europäische Regulatorik hat einen sehr großen Einfluss auf Unternehmen und damit auch auf deren Geschäftsprozesse und die Beschaffung im IT-Sektor. So kam vor zwei Jahren als Maßnahme des Green Deals der Europäischen Union die EU-Taxonomie hinzu, nach der große Unternehmen ihre nachhaltige Investitionen und Ausgaben offenlegen müssen. In Deutschland trat das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zum 1. Januar 2023 in Kraft, dem bald ein europäisches Pendant folgen wird. Ab dem Geschäftsjahr 2024 kommt zudem die aktualisierte Berichtspflicht, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), zum Tragen, die nach einem umfassenden Rahmenwerk die Offenlegung von nicht finanziellen Kennzahlen verlangt. Sind es bisher 500 deutsche Unternehmen, die einen Bericht veröffentlichen müssen, werden es künftig 15.000 sein. In der Regel sind zunächst bei allen EU-Initiativen große Unternehmen betroffen, die aber kaskadenförmig die CSR-Anforderungen auch an – mitunter kleinere – Lieferanten weitergeben. So entsteht ein Schneeballeffekt, der weite Teile der Wirtschaft durchdringt.