Cybersicherheit 17.01.2020, 09:12 Uhr

Mittelständler stehen verstärkt unter ­Beschuss

Konzerne haben aufgerüstet, also sind Cyberkriminelle auf der Suche nach leichterer Beute. Diese finden sie in KMUs, da die Cybersicherheit hier oft nicht ausreicht, um Angriffe abzuwehren.
(Quelle: solar22 / shutterstock.com)
An einem Wochenende Anfang Oktober liefen bei dem Schweizer Online-Marktplatz Digitec Galaxus die Server heiß: Mehrere Hunderttausend Log-in-Anfragen auf Kundenkonten trafen gleichzeitig ein, der überwiegende Anteil nutzte dabei fehlerhafte Nutzername-Passwort-Kombinationen. Wie der Online-Händler nach einer Überprüfung feststellte, erfolgten die massiven Log-in-Versuche auf die Kundenkonten ausnahmslos von Computern von ungewöhnlichen IP-Adressen, größtenteils aus Russland oder Brasilien. Die Erklärung des Vorfalls lieferte Unternehmenssprecher Tobias Billeter einige Tage später: Offenbar hatten Angreifer im Darknet Listen mit Kombinationen von Benutzernamen und Passwörtern gekauft und diese automatisiert alle ausprobiert.
Und auch wenn die meisten Log-in-Daten nicht zu dem Schweizer Shop passten: Bei immerhin 40 Konten wählten sich die Angreifer erfolgreich ein und kauften mit dem Guthaben der nichts ahnenden Kunden Software-Lizenzen im Wert von insgesamt 3.200 Franken. Wenngleich die Kundendaten nicht durch eine Security-Lücke bei Digitec Galaxus, sondern anderswo im Netz entwendet worden waren, zeigte sich der Händler kulant und übernahm den Umsatz der Betrüger für seine Kunden.
Für Digitec Galaxus war der Vorfall keineswegs der erste Zusammenstoß mit Cyberkriminellen. Bereits 2017 warnte der Marktplatz 21.000 Kunden per E-Mail, dass sich Unbefugte Zugang zu ihrem Shop-Konto verschafft hatten. Auch damals wurde das Unternehmen durch massenhaft gescheiterte Log-in-Versuche auf das Problem aufmerksam. Und 2016 gehörte Digitec Galaxus zu den Opfern einer groß angelegten DDoS-Attacke auf Schweizer Unternehmen.
Das Beispiel zeigt: Cyberkriminalität gehört längst zum E-Commerce-Alltag - und jeder kann betroffen sein. Aktuelle Studien von Cybersecurity-Spezialisten wie Kaspersky, McAfee und vielen anderen malen ein erschreckendes Bild. Cyberkriminalität ist weltweit auf dem Vormarsch. Und: Nachdem jahrelang vor allem international aktive Großkonzerne von Cyberangriffen betroffen waren - beispielsweise die Reederei Maersk, die während der großen Wanna­cry-Ransomware-Welle Mitte 2017 einen Schaden von 200 bis 300 Millionen Euro verbuchen musste -, wenden sich die Angreifer mittlerweile zunehmend leichterer Beute zu, zum Beispiel dem deutschen Mittelstand.

Einzelhandel als lukratives Ziel

Ende Juni 2019 musste das die Hamburger Juwelierkette Wempe schmerzlich erleben. Hacker waren in die Server des Unternehmens eingebrochen und hatten Bereiche der IT verschlüsselt. Mitarbeiter konnten keine Rechnungen mehr drucken, Mails verschicken oder Dateien öffnen. „Das war eine Geiselnahme unserer Daten auf unseren eigenen Servern“, so Wempe-Sprecherin Nadja Weisweiler. Und wie bei einer echten Geiselnahme ließ die Lösegeldforderung nicht lange auf sich warten: Die Hacker verlangten eine „hohe Summe“ für das Passwort, das die Server wieder freischalten würde, in der Presse wurde über mehr als eine Million Euro spekuliert.
Nadja Weisweiler
“„Das war eine Geisel­nahme unserer Daten auf unseren eigenen ­Servern.“„
Nadja Weisweiler
Unternehmenssprecherin bei Wempe Juweliere
Die Juwelierkette bezahlte - eine fragwürdige Reaktion, von der Cybersecurity-Experten bei der Kriminalpolizei, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und der TÜV einhellig abraten. „Das Bezahlen der Lösegeldforderung ist eigentlich immer der schlechteste Weg“, meint auch Ralf Stadler, Director Security Solution Practice & Mobility beim Münchner Security-Experten Tech Data. „Schließlich weiß man ja nicht, ob man für das Geld tatsächlich den Key zur Freischaltung des Servers bekommt oder ob man sich damit nur wieder eine weitere Malware auf den Rechner holt.“ Außerdem seien Ransomware-Attacken „mit zusätzlichen, externen Backups und einem guten Monitoring der Server gut in den Griff zu bekommen“.
Doch selbst wenn die IT-Abteilung auf der Hut ist und die nötigen Vorkehrungen getroffen wurden, können Ransom­ware-Attacken ein Unternehmen empfindlich treffen: Im Mai 2019 wurde die Buchhandelskette Osiander gehackt. Die IT-Abteilung bemerkte den Angriff zwar rechtzeitig und trennte den attackierten Server vom Netz, bevor die Hacker relevante Daten verschlüsseln konnten. Doch auch ohne Lösegeldforderung waren die Folgen verheerend: Der Webshop war mehrere Tage offline, 60 Filialen waren weder telefonisch noch per E-Mail zu erreichen, Buchbestellungen konnten nicht aufgegeben werden. „Die Umsatzausfälle sind das eine“, so Osiander-Geschäftsführer Christian Riethmüller. „Zum anderen haben wir uns Unterstützung von Sicherheitsexperten geholt und jeden Rechner, jedes Programm auf Viren untersucht. Unter dem Strich wird uns das in diesem Jahr einen gehörigen sechsstelligen Betrag kosten.“



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