Videokonferenzen 25.01.2011, 15:02 Uhr

So fern und doch so nah

Das Geschäft mit Videokonferenzsystemen zieht an, auch weil Naturkatastrophen und sinkende Reisebudgets für eine Steigerung der Nachfrage sorgen. Positiv: Die Anbieter suchen immer stärker den Kontakt zu ITK-Systemhäusern.
Die Aschewolke nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans im vergangenen Frühjahr, die Schweinegrippe und kürzlich das Blitzeis – es gab viele Faktoren, die den Anbietern von Videokonferenzsystemen in den vergangenen Monaten in die Hände spielten: „Die Anfragen sind in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen“, bestätigt denn auch Wilhelm Mettner, Geschäftsführer der Vitec Distribution in Mainz, im Gespräch mit Telecom Handel – und nennt dabei Steigerungsraten von rund 35 Prozent.
Grund dafür waren laut Mettner jedoch nicht nur die eingangs erwähnten Katastrophen oder die Pandemie, auch das Ende der Rezession und – damit verbunden – die wieder steigende Investitionsbereitschaft in den Unternehmen brachten Schwung in den Markt – und auch den Channel. Denn die meisten Hersteller vermarkten ihre Produkte über den indirekten Kanal. Bislang profitierten allerdings in erster Linie sogenannte AV-Systemhäuser (Audio-, Video- und Medientechnik) von der steigenden Nachfrage. Doch die Channelstruktur bei Videokonferenzsystemen befindet sich gegenwärtig im Umbruch.
„Wir suchen derzeit gezielt nach ITK-Systemhäusern, die unsere Lösungen vermarkten“, erklärt zum Beispiel Mettner. Und auch Jan Wintersberg, Geschäftsführer des Spezialdistributors Prodytel, bekräftigt, er akquiriere seit einigen Monaten neue Partner vor allem aus dem ITK-Systemhaus-Bereich. Dies mag in erster Linie daran liegen, dass die beiden Unternehmen im AV-Sektor einen breiten Kundenstamm haben und sich von ITK-Systemhäusern neues Wachstum erhoffen. Ein weiterer Grund ist aber auch: Videokonferenzen bewegen sich immer mehr in Richtung IP und werden in Unified-Communications- und Collaboration-Lösungen eingebunden – und das nicht nur bei internationalen Konzernen, sondern zunehmend auch bei kleineren und mittelständischen Unternehmen.

Viele Vorteile ? auch für den Mittelstand

Denn im Zuge der Globalisierung sind immer mehr Firmen international aufgestellt – sei es durch ausgelagerte Ressourcen oder einen weltweiten Kunden- oder Lieferantenstamm. Die Folge: Im Mittelstand herrscht großer Bedarf, die Kommunikationsabläufe zu verbessern und gleichzeitig die Kosten zu senken. Denn mit der Nutzung von Videokonferenzen reduzieren Unternehmen also nicht nur ihr Budget für Reisekosten – und angesichts der angekündigten Preissteigerungen der Reiseunternehmen gewinnt dieses Argument an Bedeutung –, sondern virtuelle Bildschirm-Meetings sorgen auch für ein deutliches Plus an Flexibilität.
Statt sich ins Flugzeug zu setzen und, von langer Hand geplant, einen Kollegen oder Mitarbeiter in den USA zu treffen, können die Konferenzteilnehmer binnen kurzer Zeit eine Videokonferenz anberaumen und aktuelle Probleme lösen. Und Pläne für eine Maschine, die gerade von einem internationalen Team entwickelt wird, müssen nicht mühsam über den Äther geschickt und dann via Mail oder Telefonkonferenz diskutiert werden – man beruft einfach eine Videokonferenz ein, bei der die Ingenieure am Bildschirm Details der Anlage besprechen und das weitere Vorgehen festlegen.
Gleichzeitig – und auch diese Entwicklung treibt den Markt voran – sinken die Anlagen- und Betriebskosten der Lösungen. „Kunden können heute schon ab 2.500 Euro eine hochwertige Videokonferenzlösung erhalten“, berichtet beispielsweise Kay Ohse, Area Sales Vice President Central EMEA bei Polycom. Die Investition amortisiert sich also schon nach kurzer Zeit – vergleicht man den Anschaffungspreis mit den Flugpreisen, zum Beispiel für eine Geschäftsreise in die USA.
Trotzdem gibt es bei vielen Kunden  noch Ressentiments bei den Anwendern, viele Mitarbeiter ziehen den direkten Kontakt einer Videokonferenz vor. Und nicht wenige Unternehmen, gerade im Mittelstand, haben sich bislang kaum mit dem Thema beschäftigt. „Kunden realisieren nicht, dass der Einsatz von Business-Video viele ihrer Herausforderungen lösen und ihre Produktivität erheblich steigern würde“, erklärt zum Beispiel Thomas Nicolaus, Head of Telepresence Video für die DACH-Region bei Cisco. 

Herausforderung für ITK-Systemhäuser

Ein gut bestelltes Feld für den Channel also, der mit der Vermarktung von Konferenzlösungen neues Wachstum generieren könnte. Doch trotz dieser bestechenden Argumente tun sich vor allem Partner aus dem ITK-Bereich oftmals schwer mit der Vermarktung von Konferenzlösungen. Denn viele von ihnen sind erst vor kurzem in den Bereich eingestiegen und müssen sich noch ihre Sporen verdienen.
Ein Geschäftsführer eines ITK-Systemhauses in Baden-Württemberg kennt das Problem gut – sowohl von der Kundenseite her wie auch als Verkäufer. Im Gespräch mit Telecom Handel erklärt er, er biete neben den traditionellen Kommunikationslösungen seit etwa einem Jahr auch Videokonferenzsysteme bei mittelständischen Kunden an. „Die meisten haben sich bislang wenig oder keine Gedanken über die Einführung einer Videokonferenzlösung gemacht“, berichtet er über seine Erfahrungen. „Doch wenn wir im Gespräch die Vorteile dieser Lösungen erklären, so sind die Kunden sehr schnell sehr interessiert.“
Etwa zehn Anlagen hat er im vergangenen Jahr implementiert, in diesem Jahr möchte er das Thema deutlich forcieren – und auch neue Mitarbeiter dafür einstellen. Einerseits sei die Vermarktung von Videokonfenzlösungen zeitintensiv, manchen Mitarbeitern falle es aber auch schwer, sich in dieses Thema einzuarbeiten. Denn obwohl die Hersteller das Gegenteil behaupten, sind Konferenzsysteme in technischer Hinsicht sehr komplex. „Bei der Einführung muss eine Vielzahl von Einzelkomponenten beachtet werden“, so der Systemhaus-Chef weiter. Oftmals liege es an einem einzigen DSL-Anschluss in einer Außenstelle des Kunden oder an einer Software-Komponente, die dazu führt, dass eine Lösung nicht funktioniert. Letztendlich musste er sich Know-how aus allen Bereichen aufbauen. 

Die Herausforderung liegt im Vertrieb

„Wahrscheinlich ist das Zusammenwachsen der Welten – IT, klassische Telekommunikation und Präsentationstechnik – die größte Herausforderung für den Channel bei der Vermarktung von Videokonferenzsystemen“, erklärt auch Tim Schütte, Director Sales Zentral- und Osteuropa bei LifeSize, in diesem Zusammenhang. „Egal aus welchem angestammten Bereich der Partner kommt, er wird mehr und mehr mit kombinierten Anforderungen konfrontiert, die sein eigentliches Spezialgebiet verlassen“, so Schütte weiter.
Der Geschäftsführer des württembergischen Systemhauses ist indes davon überzeugt, dass seine Entscheidung „goldrichtig“ war: „Die Systeme werden gebraucht, die Nachfrage steigt“, betont er. Und: „Wer jetzt nicht in den Markt einsteigt, verpasst eine wichtige Chance.“ Für ihn sind Videokonferenzen letztendlich eine sinnvolle und auch notwendige Ergänzung seines Portfolios, mit denen  er sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann.
Eine Ansicht, die er mit Johannes Haseneder, Division Manager Telecommunications bei Allnet, teilt. Auch dieser bereut seine Entscheidung, auch Videokonferenzsysteme anzubieten, nicht. „Wir stehen derzeit noch am Anfang und haben in den vergangenen zwei Jahren mit viel Mühe und Schweiß diesen Bereich aufgebaut“, berichtet er. „Wir sind aber davon überzeugt, dass Videokonferenzen zu den Wachstumsmärkten der Zukunft gehören.“ Dann schränkt er aber doch ein: „Die Herausforderung liegt allerdings im Vertrieb der Lösungen.“
Auch die Hersteller haben diese Probleme ihrer Vertriebspartner erkannt und sind bereit, sie mit einer Vielzahl von Services zu unterstützen – von der Neukundenakquise über die Unterstützung bei der Kalkulation und Erstellung von Angeboten, Leihstellungen und Demogeräte bis hin zum Consulting. Nun gilt es für die Partner, diese Hilfe auch anzunehmen




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