6G: Der Mobilfunk von morgen
Große Pläne mit 6G
Bis zur Standardisierung der sechsten Generation der mobilen Konnektivität ist noch unklar, welche endgültige Form 6G annehmen wird. Die große Vision sei die Vertiefung der Verbindung und Integration zwischen der digitalen, physischen und menschlichen Welt, erklärt Björn Brundert. Darüber hinaus werde der neue Mobilfunkstandard 6G „definitiv mehr sein als eine technische Weiterentwicklung“. Das Ziel von 6G bestehe darin, die Umwelt- und Energieeffizienz, die digitale Integration und die Anpassungsfähigkeit verschiedener Branchen, wie der Gesundheitsbranche oder der Security, zu verbessern.
Bereits der 5G-Mobilfunk, der Datenraten von bis zu 10 GBit/s unterstützt, ermöglicht eine Echtzeitkommunikation und wird als Schlüsseltechnik der Digitalisierung gesehen. Dennoch machen sich Forscher und Entwickler rund um den Erdball bereits Gedanken, wie der Mobilfunk der sechsten Generation aussehen könnte. Typischerweise stellt sich bei Technologie-Wechseln immer die Frage: Ist es eher eine Evolution oder eine Revolution? So ist es auch beim Mobilfunk von einem „G“ aufs nächste „G“.
„Ein revolutionärer Aspekt von 5G war die Unterstützung von mmWave-Frequenzen für den zellularen Mobilfunk“, erklärt Andreas Rößler, Technology Manager Wireless bei Rohde & Schwarz. Das hatte es bis dahin aufgrund der Ausbreitungseigenschaften von elektromagnetischen Wellen bei diesen hohen Frequenzen von zum Beispiel 28 oder 39 GHz nicht gegeben. „Erste theoretische Untersuchungen dazu wurden bereits im Juni 2011 veröffentlicht. Ungefähr vier Jahre später gab es die ersten Prototypen und noch einmal fünf Jahre später ging das erste 5G-Netz in den USA ,on air‘, das mmWave-Frequenzen nutzte“, so Rößler. Es dauerte also knapp neun Jahre. „Mit der aktuellen Annahme, 6G komme im Jahr 2030, bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir uns mit den revolutionären Aspekten, die 6G ausmachen sollen und werden, bereits heute beschäftigen müssen.“ Die Forschung und Teile der Industrie machten das bereits seit mehr als drei Jahren.
An den Technologiekomponenten, die möglicherweise einen zukünftigen 6G-Standard ausmachen, wird laut Rößler momentan intensiv geforscht – und das weltweit. Es sei davon auszugehen, dass ein künftiger 6G-Standard zwei Frequenzbereiche unterstützt, die heute noch nicht von 5G unterstützt werden. „Dabei handelt es sich zum einen um den (Sub-)THz-Bereich zwischen 100 und 300 GHz, zum anderen um die Frequenzen zwischen 7 und 24 GHz.“ Eine weitere Neuerung beziehe sich auf die Signalverarbeitung: „Heute basiert sie auf deterministisch entwickelten Software-Algorithmen, die in 4G und 5G zur Anwendung kommen. Künftig werden diese durch KI-basierte Algorithmen ersetzt oder zumindest unterstützt werden.“
Des Weiteren sollen 6G-Netze einen sogenannten sechsten Sinn bekommen. Es wird erwartet, dass nicht nur reine Kommunikation im Vordergrund steht, sondern auch das Abtasten der direkten Umgebung, um zum Beispiel Objekte oder Gegenstände zu detektieren. Ziel ist es, mit den so gewonnenen Informationen die Kommunikationsverbindung an die lokalen Bedingungen anzupassen und damit noch effizienter zu werden.
Wie schnell 6G letztlich sein wird, lässt sich laut Andreas Rößler noch nicht endgültig sagen. Oft stehe die Datenrate im Vordergrund, wobei zwischen der sogenannten Peak Data Rate und der User Experience Data Rate unterschieden werden müsse. Die erstere gibt an, was mit dem Standard unter idealen technischen Bedingungen möglich ist. Die zweite – die für die Nutzer wichtigere Kenngröße – gibt an, was unter alltäglichen Bedingungen maximal erwartet werden kann. „Bei 6G wird davon ausgegangen, das Spitzendatenraten von bis zu 1 TBit/s unterstützt werden, und die Nutzerdatenrate soll typischerweise bei 1 GBit/s liegen“, erklärt Rößler.
Unter Laborbedingungen sind in Tests die rasanten Geschwindigkeiten von 1 Terabit pro Sekunde bereits erreicht worden. „Das ist etwa 100-mal schneller als 5G“, erklärt Vodafones Technikchefin Tanja Richter. Auch wenn man in der Praxis diese Werte sicherlich nicht erreiche, wie bereits Andreas Rößler erläutert hat, so müsse 6G in jedem Fall eine Antwort auf die stetig steigenden Datenströme liefern. „Schon heute haben wir Wachstumsraten von 30 Prozent jährlich beim Datenverkehr. Das wird sich noch steigern“, so Tanja Richter.
Vodafone baue zum Beispiel deshalb schon heute sein Mobilfunknetz um. „Wir verlagern Rechenkapazitäten an den ,Rand‘ der Netze oder bauen leistungsstarke Server-Systeme direkt bei den Industriekunden auf.“ Das wird sich laut Tanja Richter mit 6G fortsetzen. Künstliche Intelligenz in der Netztechnik werde zunehmen und helfen, die vielfältigen Anforderungen zu erfüllen.
Wie die Unterschiede zwischen 5G und 6G im Detail aussehen werden, ist laut den Experten von Rohde & Schwarz in diesem frühen Stadium noch nicht wirklich abzusehen und die Frage danach daher schwierig zu beantworten. Nichtsdestoweniger gebe es Trends, die in der einen oder anderen Form beim 6G-Mobilfunk Realisierung finden würden. „Bei 6G wird definitiv der Anteil von Artificial Intelligence und Machine Learning (AI/ML) noch weiter steigen, als es bei 5G heute schon der Fall ist, zum Beispiel in der Netzautomatisierung und im Netzmanagement“, erläutert Andreas Rößler. KI-/ML-basierte Algorithmen würden bei 6G in der Signalverarbeitung zwischen Basisstation und Mobiltelefon eingesetzt werden und die Funkverbindung weiter optimieren und effizienter machen. „Heutige Standards wie 4G und 5G optimieren die Luftschnittstelle auf spektrale Effizienz (Bit/s/Hz), also darauf, möglichst viel Datendurchsatz über eine gegebene Bandbreite zu realisieren. In 6G zeichnet sich der Trend ab, dass eventuell auf die Energieeffizienz optimiert wird.“ Das heißt: Je nach Situation und Lage, etwa morgens, abends oder um Mitternacht, und auch geografischen Bedingungen rekonfiguriert sich der Standard und setzt andere Zugriffsverfahren und Protokolle auf der Luftschnittstelle ein, um die Daten möglichst energieeffizient übertragen zu können.
Auch wenn 6G derzeit eher ein Thema für Wissenschaftler und Entwickler ist, haben die Mobilfunkbetreiber den Mobilfunk der Zukunft ebenfalls schon auf dem Radar – obwohl sich etwa Vodafone aktuell auf den Ausbau seiner 5G-Netze konzentriert. „5G ist heute, 6G die Zukunft“, bringt es Tanja Richter auf den Punkt. Normalerweise kommt der Vodafone-Technikchefin zufolge alle zehn Jahre eine neue Mobilfunkgeneration heraus. „Mit 5G sind wir 2019 gestartet, dann wäre 2029/2030 ein möglicher Startschuss für das 6G-Netz.“ Die Standardisierungs- und Zulassungsprozesse für die neue Technologie fänden jedoch schon früher statt und die Spezifikation für die kommenden 6G-Netze werde in den nächsten Jahren auf internationaler Ebene festgelegt. „Und dort müssen Deutschlands Telekommunikationskonzerne mitreden und den 6G-Standard gestalten. Deshalb ist es wichtig, sich heute schon intensiv mit 6G zu beschäftigen.“