Interview 01.08.2022, 12:16 Uhr

Ausgeklingelt: Ist das Tischtelefon ein Auslaufmodell?

Werden IP-Telefone kurz, mittel- oder langfristig durch Softphones und Headsets ersetzt? Darüber sprechen Michael Hengl von Snom und Gregor Knipper von Jabra.
Snom D865
(Quelle: Snom)
Je größer das Telefon auf dem Schreibtisch, desto wichtiger der Mitarbeiter. Dieses ungeschriebene Gesetz herrschte lange in den Büros. Allerdings ist der Absatz dieser Endgeräte seit Jahren rückläufig, vor allem die jüngere Generation nutzt immer öfter Softphones – häufig in Verbindung mit einem Headset. Darüber diskutieren Michael Hengl vom IP-Telefonhersteller Snom und Gregor Knipper vom Headset-Spezialisten Jabra diskutieren im Interview über die Zukunft des Tischtelefons.
Telecom Handel: Den Tischtelefonen wird seit Jahren das Ende prophezeit. Wie ist die Situation aus Sicht eines Herstellers?
Michael Hengl: Totgesagte leben ja bekanntlich länger, und Tischtelefone werden nach wie vor gekauft. Eine langfristige Prognose für den Markt abzugeben ist aber schwierig – vor allem in den vergangenen zwei Jahren haben sich die Parameter stark verändert.
TH: Aber wie ist der Absatz der Tischtele­fone bei Snom, ist der rückläufig?
Michael Hengl, Channel Director DACH und Strategic Alliances bei Snom
Quelle: Snom
Hengl:
Über die konkreten Absätze einzelner Produktfamilien kann ich keine Details liefern, allgemein blieb unser Umsatz im Fiskaljahr 2020 bis 2021 aber stabil, und 2021 bis 2022 verbuchten wir sogar eine Umsatzsteigerung von über 20 Prozent. Aber abgesehen davon analysieren wir natürlich regelmäßig die Entwicklung des Marktes mittels eigener und mit unabhängigen Marktforschern geführter Umfragen. Diese Zahlen werden offiziell ja nur selten ausgewiesen. Wir haben uns dabei die fünf größten Märkte in Europa angesehen: Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und UK. In den vergangenen gut zwei Jahren beobachteten wir in diesen Märkten einen generellen Rückgang der Tischtelefone zwischen zehn und 20 Prozent. Würde man das linear berechnen, dann könnte man sagen, dass das letzte Tischtelefon in 15 oder 20 Jahren verkauft wird. Aber bitte nageln Sie mich nicht fest.
TH: Konnten Sie hingegen entsprechende Zuwächse verzeichnen, Herr Knipper?
Gregor Knipper: Wir haben tatsächlich deutlich höhere Zuwächse als den genannten prozentualen Rückgang der Tischtelefone, hier berechnen wir aber Headsets und Speakerphones als kleine Konferenztelefone mit ein. Die wurden eigentlich für Konferenzräume entwickelt, werden aber zunehmend auch an Arbeitsplätzen, vor allem in Einzelbüros oder im Homeoffice, eingesetzt. Insgesamt haben wir sehr gute Wachstumsraten. Wir sehen uns aber nicht als Substitution zu Tischtelefonen.
TH: Sondern?
Knipper: Wir arbeiten seit jeher mit den Herstellern von Tischtelefonen zusammen und sehen unsere Produkte als Ergänzung zu deren Geräten. Deshalb ist es uns wichtig, dass unsere beiden Devices miteinander kombiniert werden können. Dafür sind ­entsprechende Schnittstellen nötig. Und für die Nutzer ist ein Telefon mit einer Schnittstelle für ein Headset höherwertiger – und bietet mehr Komfort.
TH: Spielt Ihnen die Zunahme von Soft­phones und mobilen Clients in die Hände?
Gregor Knipper, VP & Marketing Managing Director Jabra DACH
Quelle: Jabra
Knipper:
Der zunehmende Einsatz von Unified Communications ist für uns natürlich ein Vorteil. Immer mehr Anwender greifen dabei auf ein Headset zurück, weil der Lautsprecher eines Computers oder Smartphones nicht die gewünschte Audio-Qualität bringt. Allerdings müssen die Kunden auch von diesen Vorteilen überzeugt werden, das ist kein Selbstläufer.
TH: Und wie sehen Sie das, Herr Hengl?
Hengl: Das eine schließt ja das andere nicht aus. Unsere Endgeräte punkten mit einem günstigen Einstiegspreis von rund 100 Euro – und es fallen keine weiteren Betriebskosten an. Außerdem sind sie einfach zu installieren und auch zu bedienen. Viele Unternehmen sehen Tischtelefone auch als Backup, schließlich sind sie sehr zuverlässig und es gibt keine Performance-Probleme, sie funktionieren immer, auch wenn der Laptop oder das Smartphone nicht laufen. Ein Tischtelefon ist autark und auch sicherer.
TH: Aber es kann auch ein Einfallstor für Hacker sein, das hat es ja in der Vergangenheit – wenn auch selten – schon gegeben.
Hengl: Sicher gibt es ein Risiko, doch das ist inzwischen in unserem Bereich wirklich minimal. Schließlich setzen wir auf starke Technologiepartner und auf einen ebenfalls starken Fachhandel, der seine Kunden entsprechend berät. Wir haben außerdem eine ganze Reihe von Sicherheitsvorkehrungen getroffen, dazu zählt beispielsweise die Provisionierung unserer Geräte über einen Server, der in Deutschland steht. Und selbstverständlich bieten wir auch regelmäßige Updates an. Die Security-Risiken in Unternehmen liegen in der Regel woanders.
TH: Hat Jabra eigentlich jemals überlegt, auch ein Tischtelefon herauszubringen?
Knipper: Früher sicherlich ja, und vielleicht hatten wir vor langer Zeit auch einmal ein entsprechendes Angebot – aber heute gibt es dazu keine Überlegungen mehr.
TH: Snom wiederum hat auch Headsets im Programm …
Hengl: Wir haben ein kleines Sortiment an Headsets, die vor allem von Kunden erworben werden, die automatisch ein Headset zum Telefon dazubestellen. Die Headsets sind funktionstüchtig und sicher ausreichend, können sich aber nicht mit den Qualitäts­ansprüchen eines Headset-Spezialisten wie Jabra messen. Wir haben den Markt aber im Auge und werden weitere Produkte bringen, aber aktuell ist der Bereich Headsets kein Fokus-Thema in dem Ausmaß wie bei einem Headset-Hersteller wie Jabra.
TH: Und worauf setzen Sie dann? Mit der 800er-Serie haben Sie ja beispielsweise neue Maßstäbe für Snom im Design und bei den Funktionen angekündigt.
Hengl: Sicher ist, das Tischtelefon, wie wir es kennen, muss natürlich auch einen Wandel mitmachen – und das zeigt auch unsere neue Modellreihe. Wir wollen neue Anwendungen ermöglichen und auch neue Integrationsmöglichkeiten anbieten – gemeinsam mit unseren Technologiepartnern. Das Telefon steht ohnehin am Tisch, warum soll es nicht andere Aufgaben erfüllen wie zum Beispiel die Automation im Smartoffice? Mit Hilfe von Sensoren und der Integration in Prozesse in Unternehmen gibt es auch viele weitere Anwendungen. Wir können Sensoren für das Asset-Tracking integrieren und unsere Produkte in andere Lösungen einbinden. Es gibt eine ganze Reihe von Szenarien, bei denen Tischtelefone eine gewichtige Rolle spielen können und werden.
Jabra PanaCast Bundle Meet Anywhere ist eine portable Video- und Audiokonferenz-Lösung

Quelle: Jabra
TH: Aber in diesem Bereich gibt es schon länger Angebote …
Hengl: Wir haben aber zum Beispiel als einer von wenigen Herstellern Sensoren für unsere DECT-Umgebung integriert, die wir für Tracking von Personen und Gegenständen nutzen. Diese Integration werden sicher nicht alle Kunden als Kaufanreiz sehen, doch der Markt hierfür ist vielversprechend. Und auch die Umstellung auf All-IP wird für ein Plus an Umsätzen sorgen.
TH: Hierzulande ist sie ja abgeschlossen …
Hengl: Das sollte man meinen, aber es gibt immer noch viele Unternehmen, die alte Systeme mit einem Gateway ergänzt haben und intern wird noch über ISDN oder gar analog telefoniert. Diese Geräte müssen ­irgendwann getauscht werden – denn für Reparaturen wird es in absehbarer Zeit keine Komponenten mehr geben.
TH: Gibt es bestimmte Branchen, in denen die Unternehmen präferiert in Tischtelefone oder Headsets investieren?
Knipper: Ich glaube, wir sind immer noch häufig in einer Koexistenz und viele Mitarbeiter nutzen sowohl Headsets als auch ein Tischtelefon. Natürlich gibt es Unterschiede, je mehr Unternehmen Modern Work leben und je technologischer die Branche ist, desto häufiger wird auch auf modernere Technik gesetzt. Auch das hybride Arbeiten forciert den Absatz von Headsets, denn nicht jeder Arbeitsplatz kann mit allen Devices ausgestattet sein.
Hengl: Es gibt aber immer noch Branchen wie beispielsweise den Healthcare-Bereich, in denen die Menschen an immer dem gleichen Arbeitsplatz sind – und an dem steht dann auch ein Telefon.
Knipper: Und das muss auch funktionieren, hier ist das Tischtelefon im Vorteil.
Hengl: Zudem findet ein Wechsel von Tischtelefonen zu DECT-Telefonen statt, das ist ein starker Trend. Und hier sind auch Fähigkeiten wie Asset-Tracking und Alarmierungssysteme gefragt. Häufig findet auch ein Wechsel zu DECT-Systemen statt, auch hier bieten wir entsprechende Systeme an.
Knipper: Wechselwilligkeit hat aber immer auch mit Geld zu tun, wo wollen Firmen investieren?
TH: Ein IP-Telefon kostet aber nicht die Welt, und die meisten Geräte funktionieren viele Jahre, ein Wechsel ist nicht zwingend nötig ...
Hengl: Das Telefon ist nachgelagert und wird meistens dann neu gekauft, wenn auch in eine neue Anlage investiert wird.
TH: Bei den Headsets kommen immer mehr Anbieter auf den Markt, die ihre Hardware zu Dumpingpreisen anbieten. Beobachten Sie das mit Sorge?
Knipper: In der Regel handelt es sich um ein abgespecktes Portfolio in der Einstiegsklasse, das nur bedingt für den professionellen Einsatz geeignet ist. In diesem Bereich sind mehr Varianten in höherwertiger Technik wichtig, vor allem bei der Sprachqualität gibt es gewaltige Unterschiede. Wir haben auch gesehen, dass panische Erstkäufe nun durch höherwertige Geräte kompensiert werden. Auch viele unserer Kunden kauften zu Beginn der Pandemie häufig günstige Geräte, zum Teil aus dem Consumer-Segment, und tauschen diese nun aus.
TH: Welchen Einfluss haben denn die Lieferengpässe auf Ihr Geschäft?
Hengl: Nur wenig, wir können durch unsere Mutter VTech jederzeit produzieren und verfügen dadurch derzeit auch zumeist über ausreichend Komponenten.
Knipper: Nachfragespitzen, unplanbare Komponentenknappheit und globale Logistikschwierigkeiten begleiten uns leider schon eine Weile. Wir investieren daher viel Zeit, die verfügbaren Produkte fair für unsere Kunden zu allokieren und die Bedarfe längerfristiger im Vorlauf zu planen. Glücklicherweise sind selten alle Produktvarianten betroffen, und somit ergeben sich oft Möglichkeiten, Kunden mit Alternativen zu helfen. Bei einigen High Runnern konnten wir zuletzt durch Umstellung in der Produktion die Stückzahlen auch erheblich erhöhen.
TH: Jabra engagiert sich auch sehr stark im Bereich Videokonferenzen, welchen Anteil hat dieses Segment mittlerweile bei Ihnen?
Knipper: Er ist noch relativ bescheiden, ­zugegeben. Das liegt auch daran, dass der Audiobereich in den vergangenen Jahren so stark angestiegen ist. Video wird aber wichtiger und wächst auch immer mehr mit Audio zusammen, das spielt uns natürlich in die Hände. Durch hybrides Arbeiten und die vielen Meetings, die zum Teil vor Ort und gleichzeitig virtuell stattfinden, steigen auch die Anforderungen an die Konferenzsysteme. Wir arbeiten intensiv daran, die Qualität von virtuellen Meetings mit unseren Lösungen zu verbessern. Hier werden noch einige neue Angebote kommen.
TH: Ist es für Snom auch eine Option, in diesen Markt einzusteigen?
Hengl: Natürlich denken wir darüber und über einige andere Optionen nach, aber ich kann und möchte an dieser Stelle noch nicht über Details sprechen.
TH: Sie hatten beide über Technologiepartnerschaften gesprochen, wie wichtig sind in diesem Bereich Zertifizierungen?
Knipper: Sehr wichtig, wobei es nicht mehr alleine darum geht, ob ein Device mit einer Software funktioniert – sondern vielmehr darum, dass gemeinsame Lösungen entwickelt werden. Ziel muss sein, mehr aus den Lösungen herauszuholen. Hier gibt es schon sehr viele Ansätze. In unserem Bereich geht es beispielsweise darum, in Konferenzen die Sprechenden ins richtige Licht zu setzen oder die Akustik beständig zu verbessern. Und hier ist eine Zusammenarbeit mit den Herstellern gefragt.
Hengl: Die Integration unserer Lösungen mit denen der Technologiepartner und das Finden neuer Anwendungen für innovative Einsatzszenarien ist die Basis für die Weiterentwicklung all unserer Produkte – ich glaube, das gilt für alle Hersteller in allen Branchen. Umso reibungsloser die Integration der unterschiedlichen Produkte – zum Beispiel PBX plus Telefon plus Headset – funktioniert, umso zufriedener der Kunde. Durch eine Zertifizierung signalisieren wir daher den Kunden, dass die gewünschte Lösung sehr gute Ergebnisse liefern wird – und lernen selbst im besten Fall bei jeder Integration dazu.