Mobilfunk
01.04.2021, 14:38 Uhr
Endlich kommt das echte 5G
Mit der Einführung von 5G-Stand-alone werden nun vor allem die professionellen Anwendungen deutlich leistungsfähiger.
Für Geschäftskunden der Telekom und von Vodafone ist die neue Mobilfunkgeneration 5G auf ihren Smartphones längst alltäglich, doch eigentlich startet die Funktechnologie erst jetzt so richtig durch. Denn mit der Einführung von 5G-Stand-alone (5G SA) werden auch die vollen Leistungsmerkmale verfügbar. Der Vodafone-Deutschland-CEO Hannes Ametsreiter hat es zum Start so formuliert: „5G steht in Deutschland zum ersten Mal auf eigenen Beinen. Als erster Netzbetreiber legen wir bei 5G die LTE-Stützräder beiseite und starten mit einem 5G-Kernnetz – nicht für interne Tests, sondern im Live-Netz für unsere Kunden, die schon in diesem Monat an ersten Orten Echtzeit erleben können.“
Denn bisher basierten die kommerziell verfügbaren Netze der drei deutschen Carrier auf 5G-Non-Stand-alone, sie waren im Kernnetz auf Infrastruktur der LTE-Netze der vorherigen Mobilfunkgeneration angewiesen, um zu funktionieren. So waren zwar auch schon hohe Datenraten möglich, doch spezielle Stärken von 5G, die für viele professionelle Anwendungen unabdingbar sind, können nun erst mit 5G SA sinnvoll umgesetzt werden. „Unser Ziel ist es, die Zukunft des Mobilfunks weiter aktiv zu gestalten. 5G-Stand-alone ist wichtig, um Technologien wie Network Slicing oder Edge Computing nutzen zu können“, sagt etwa Claudia Nemat, Vorstand Technologie und Innovation bei der Telekom.
Umfangreiche Tests in den Netzen wie hier durch Nokia laufen immer noch, damit die reibungslose Implementation von 5G SA gelingen kann.
Quelle: Nokia
Daten in Echtzeit
Außerdem ist mit der 5G-SA-Technologie aufgrund der extrem niedrigen Latenzzeit eine Datenkommunikation praktisch in Echtzeit möglich – das ist unter anderem für das autonome Fahren oder die Steuerung von Industrierobotern eine Grundvoraussetzung, auch Anwendungen wie Gaming oder Virtual Reality profitieren davon. Vodafone gibt von 35 auf 10 bis 15 Millisekunden reduzierte Latenzzeiten an, was dem menschlichen Nervensystem entsprechen soll.
Nur die maximal mögliche Download-Geschwindigkeit sinkt mit der Umstellung zunächst von bis 1.000 MBit/s auf 700 MBit/s, da mit 5G SA keine zusätzliche LTE-Bandbreite mehr dazugenommen werden kann. Mit jeder neuen Bündelung von unterschiedlichen 5G-Frequenzbändern (Carrier Aggregation), die Smartphones unterstützen, wird 5G aber in den nächsten Monaten trotzdem wieder schneller. Nach und nach sollen sogar Geschwindigkeiten von deutlich mehr als 1.000 MBit/s möglich werden. Zudem verdoppelt Vodafone mit 5G SA nun auch die möglichen Bandbreiten im Upload, was zum Beispiel Videokonferenzen beschleunigt.
Die Umstellung läuft
Mit der Einführung des Technologiesprungs ist Vodafone am weitesten fortgeschritten: Die Düsseldorfer haben jetzt alle Basisstationen im 3,5-GHz-Bereich auf 5G SA umgeschaltet, das entspricht rund 1.000 Antennen an 300 Standorten in 170 Städten und Gemeinden. Bis zum Jahresende sollen insgesamt 4.000 Antennen dann auch auf anderen Frequenzen 5G SA nutzen. Damit steigt auch die Kapazität des Netzes an diesen Standorten bis um den Faktor zehn, was vor allem den Einsatz von Sensoren und anderen IoT-Geräten erweitern kann. Auch die Reichweite der Antennen soll um bis zu 20 Prozent größer werden, während der Stromverbrauch der Smartphones um 20 Prozent sinken soll, da sich diese nicht mehr parallel zu 5G in die LTE-Netze einwählen müssen.
Ein 5G-Rechenzentrum in Frankfurt/Main verarbeitet Cloud-basiert die Daten, insgesamt zehn solcher Rechenzentren sollen bundesweit bis 2023 entstehen. Das ist ein wichtiger Baustein, denn die räumliche Nähe zu den Kunden verringert vor allem die Latenzzeiten bei Datentransfers.
Als Partner ist der Netzwerkausrüster Ericsson an Bord, dazu sorgt Qualcomm für die Kompatibilität mit seinen Snapdragon-888-Chipsätzen. Das erste entsprechende Smartphone bei Vodafone ist das Oppo Find X3 Pro, das über ein Firmware-Update 5G SA nutzen kann. Die Galaxy-S21-Serie von Samsung soll dann im Mai mit dem entsprechenden Update folgen. Ob und wann auch die populären iPhones der 12er-Reihe bedient werden, ist noch nicht klar.
Vodafone-Kunden mit Stand-alone-fähigen Smartphones können die „5G Core Network Option“ kostenfrei hinzubuchen. Wenn 5G SA nicht zur Verfügung steht, kann weiter die alte Technologie genutzt werden. Für Sprachtelefonie wird ohnehin VoLTE eingesetzt, da dies über 5G noch nicht implementiert ist.
Die anderen beiden Netzbetreiber werden wohl bald nachziehen, sie haben 5G SA bislang nur versuchsweise betrieben. Telefónica will im Laufe des Jahres einsteigen, der Technologiepartner ist auch hier Ericsson. Vor allem plant der Netzbetreiber, das 5G-Kernnetz zu virtualisieren und so etwa für lokale Campusnetze auf den Aufbau physischer Strukturen zu verzichten. Im Zugangsnetz setzen die Münchner vor allem auf eine frühe Implementierung von Open RAN, eine offene Struktur, die Raum für verschiedene Lieferanten lässt.
In den Startlöchern
Die Telekom, immerhin der Netzbetreiber mit der aktuell größten 5G-Abdeckung in Deutschland, testet 5G SA noch an einem Standort in Garching bei München und einem 5G-Core in Bamberg, betont aber, dass das Netz in den Bereichen 2,1 und 3,6 GHz für 5G SA bereits vorbereitet sei. Walter Goldenits, Technikchef von Telekom Deutschland: „Die Netz-Innovation in Garching ist für uns zunächst der erste Schritt in das 5G-SA-Live-Netz. Es hilft uns, notwendige und wichtige Erfahrungen mit 5G SA zu sammeln. Ein Rollout in der Fläche ist dann auch von den Anforderungen unserer Kunden abhängig. Bei der weiteren Entwicklung spielen also Technik und Markt gemeinsam eine Rolle.“ Beim vierten 5G-Netzbetreiber 1&1 Drillisch ist noch nicht klar, ob 5G SA gleich zum Start, der dieses Jahr erfolgen könnte, eingesetzt wird.
Immer mehr 5G-Endgeräte
Wer 5G nutzen will, findet bei fast allen Herstellern inzwischen eine Auswahl entsprechenden Smartphones. In Deutschland machten sie im vierten Quartal 2020 laut GfK bereits 19 Prozent der Verkäufe aus, angesichts der seitdem gewachsenen Auswahl auch im Segment unter 300 Euro dürfte dieser Anteil seitdem gestiegen sein. Die Marktforscher rechnen damit, dass dieses Jahr in Westeuropa 50 Millionen 5G-fähige Smartphones verkauft werden. Im oberen Preissegment hat sich vor allem das iPhone 12 als Treiber der Nachfrage erwiesen, inzwischen kommt kein neues Modell über 500 Euro mehr ohne den Datenturbo aus.
GfK-Experte Christian Riedl: „Wir gehen davon aus, dass die 5G-Technologie in diesem Jahr in ganz Europa verstärkt im preislichen Mittelklasse-Segment Einzug halten wird und somit zusätzliche Käuferschichten ansprechen kann. Mit der Kombination aus technologischer Zukunftssicherheit und attraktiver Preisgestaltung werden Hersteller sowohl Konsumenten als auch Netzbetreibern ein breiteres Angebot machen können und die Durchdringung von 5G weiter vorantreiben.“
Mit der breiten Verfügbarkeit von günstigeren Chipsets wie dem Dimensity 700 5G von MediaTek oder dem Snapdragon 480 von Qualcomm erschließen die Hersteller neue Märkte. Treiber der Entwicklung ist vor allem China. Dort wurden 2020 laut IDC 168 Millionen 5G-fähige Smartphones verkauft, das war erstmals mehr als die Hälfte aller Geräte.
Wenn 5G in Smartphones bald ganz normal sein wird, dürften andere Endgeräte wie Notebooks, Tablets, Smartwatches und IoT-Produkte in den Fokus rücken. Hier gibt es hierzulande bisher nur wenige Angebote wie das Samsung Galaxy Tab S7+ oder bei den Notebooks das Yoga 5G von
Lenovo, was sich zukünftig ändern dürfte.
Lenovo, was sich zukünftig ändern dürfte.
Einfacher zum neuen Netz
Das Funkzugangsnetz (Radio Access Network – RAN) mit den Basisstationen ist das Bindeglied zwischen dem Kernnetz und den Endgeräten der Nutzer. Bisher stammte dieses RAN samt der Software in der Regel von einem Ausrüster. Doch die politischen Debatten um Huawei haben gezeigt, dass es riskant sein kann, sich von einem Anbieter beim Netzbetrieb abhängig zu machen. Zudem mangelt es den geschlossenen Systemen an Flexibilität bei technologischen Fortschritten und der Einführung neuer Standards, was am Ende hohe Kosten bringt, da dann alle Komponenten getauscht werden müssen.
Die Lösung ist Open RAN, ein Zugangsnetz, in dem Komponenten verschiedener Anbieter eingesetzt werden können. Dabei sollen die Hard- und Software getrennt werden, die physischen Komponenten müssen über offene Schnittstellen modular und flexibel sein. In letzter Konsequenz soll es so möglich werden, den nächsten Standard 6G über ein Software-Update einzuführen. Damit hätten auch kleinere Anbieter, die nur einzelne Komponenten und nicht die gesamte Netzwerktechnik im Portfolio haben, wieder eine Chance bei den Carriern und es könnte mehr Wettbewerb entstehen.
Doch auch wenn Netzbetreiber viele Hoffnungen mit Open RAN verbinden: Noch läuft es nur in Feldversuchen in 4G-Netzen. Ob Open RAN bei 5G so leistungsfähig und energieeffizient wie die geschlossenen Netze sein kann, ist nicht wirklich klar, und auch das Zusammenwirken zwischen den Komponenten verschiedener Hersteller könnte in der Realität eine sehr anspruchsvolle Aufgabe werden. Am Ende könnte die Einführung zwar, wie von Telefónica in Deutschland für dieses Jahr vorgesehen, bald beginnen, doch bis Open RAN zum Standard wird, könnten noch einige Jahre vergehen.