Blick hinter die Kulissen 20.10.2015, 09:35 Uhr

So funktioniert ein Amazon-Logistikzentrum

Sortieren, verpacken, liefern: Der Weg eines Artikels von der Bestellung bis zur Auslieferung ist komplex. Wie dieser bei Amazon aussieht, zeigt sich bei einem Vor-Ort-Besuch im Logistikzentrum Graben.
Gelbe Plastikkisten - "Totes" - auf dem Förderband im Amazon Logistikzentrum Graben
(Quelle: Youtube/Screenshot)
Die Rollen der Förderbänder rattern vor sich hin: Im Amazon-Logistikzentrum in Graben, das 2011 errichtet wurde und die Größe von 17 Fußballfeldern hat, sind in der "Receive-Halle" recht wenige Mitarbeiter zu sehen. Hier fahren auf langen Laufbändern die Pakete, die von Händlern und Herstellern an Amazon geliefert werden, in die Halle ein. Daneben, zwischen Stapeln an gelben Plastikkisten, den sogenannten "Totes", sitzen oder stehen die Receiver, die Mitarbeiter, die für die Annahme der Produkte zuständig sind.
Sie arbeiten nicht gehetzt, aber unermüdlich: Ankommendes Paket vom Laufband nehmen, Waren herausnehmen, scannen, in ein Tote legen, leeres Paket auf anderes Förderband legen, das die Pappkisten in Richtung Recycling führt, volles Tote auf drittes Förderband schieben. Und dann wieder von vorn. Dabei hören sie Musik, die im Lärm der Förderbänder beinahe untergeht. Bei diesem Prozess wird die Anzahl der verfügbaren Produkte auf der Amazon-Seite automatisch angepasst. Schon an diesem Punkt zeigt sich das Prinzip der chaotischen Lagerhaltung, mit dem Amazon seine Waren vorhält: Ein Receiver packt in ein Tote Winnie Puh-Lätzchen, Fahrradschlösser und das Playstation-Spiel "Der Hobbit".
Jeder Receiver kontrolliert nochmal jede eingegangene Ware. Oben, unten, links, rechts, hinten, vorne: Er begutachtet jedes einzelne Produkt im Sechs-Seiten-Check auf Flecken, Risse, Löcher oder Dellen - eine händische Qualitätskontrolle, die den Mitarbeitern in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Arbeitsplatz der Receiver

Einige der Mitarbeiter sitzen, andere stehen auf schwarzen Matten mit Noppen. Diese sollen zur Entlastung der Wirbelsäule dienen. Über jedem Arbeitsplatz leuchtet eine Ampel. Eine "amazonsche" Eigenentwicklung: Das grüne Lämpchen bedeutet "alles in Ordnung, hier wird gearbeitet".
Gibt es Probleme, schaltet der Mitarbeiter die Ampel um. Zum Beispiel auf gelb, wenn ihm demnächst die Totes ausgehen. Dann bekommt er von Support-Mitarbeitern neue geliefert, ohne dass er seinen Arbeitsplatz verlassen muss. Kann er wegen eines Problems nicht weiterarbeiten, beispielsweise weil der Scanner abgestürzt ist, schaltet er die Ampel auf rot, um seinen Schichtleiter auf sich aufmerksam zu machen.

Die Stower und Picker

Von der Receiver-Station machen sich die Totes auf die Reise: Über eine Reihe von Förderbändern geht es hinauf in den ersten Stock, wo ihre Fahrt am "Bahnhof" endet. Hier ist es sehr viel ruhiger. Die Decken hängen tief, die Regale stehen eng. Hier werden die Totes von den so genannten "Stowern" entgegen genommen; sie räumen die Waren in die endlosen Regalreihen ein.
Das System ist simpel: Die Waren kommen einfach dorthin, wo gerade Platz ist. Der Stower scannt den Artikel, dann das Regalfach ein. Das IT-System erkennt dann, wo der Artikel zu finden ist. Einzige Regel: Ähnliche Produkte, wie zum Beispiel T-Shirts in zwei verschiedenen Farben, dürfen nicht im gleichen Regal gelagert werden, um spätere Verwechslungen zu vermeiden. Das Ergebnis sind wahrhaft chaotische Zustände in den Regalen: Neben T-Shirts lagern Staubsaugerbeutel und Bohrmaschinen. Doch hinter dem Chaos steckt ein durchdachtes System. Insbesondere zur Verkürzung der Laufwege: Kommt eine Bestellung rein, schickt das System immer den Mitarbeiter los, der fürs "Picken" den kürzesten Weg zurücklegen muss.

Bestellungen einsammeln

Die "Picker" sind die Mitarbeiter, die die eingehenden Bestellungen einsammeln. Dabei sind sie die Erfüllungsgehilfen ihres Scanners: Dieser zeigt ihnen das Regalfach an, das sie als nächstes mit ihren leichtgängigen Handwagen anfahren müssen. Der Weg, den das System für die Picker berechnet, ist stets der kürzeste und effizienteste. In Schlangenlinien geht es durch die Regale, im Idealfall muss der Wagen nie umgedreht werden. Am richtigen Regalplatz angekommen, wird das Produkt gescannt und in das Tote gelegt. Und weiter gehts, der Scanner kennt die nächste Station, bis die Kiste voll ist. Jeder Arbeitsprozess ist vom System vorgegeben. Es kennt alle Arbeitsschritte und weiß stets, welches Produkt sich wo befindet. Der Mitarbeiter selbst erledigt nur eine Aufgabe in diesem komplexen Logistikprozess.
Das Tote des Pickers ist voll und die Artikelliste abgearbeitet. Er schiebt den Wagen nun zum "Bahnhof" und stellt das volle Kiste darauf. Das Band brummt und rattert, während es das Tote weiter zum nächsten Arbeitsschritt transportiert.

Bestellungen zusammenführen

Die Fördertechnik führt die verschiedenen Kisten, in denen sich mehrere Artikel einer Bestellung befinden, automatisch auf einem großen Wagen zusammen. Diese Wagen stehen aufgereiht in einer anderen Halle, die sich im Erdgeschoss befindet. Auch hier sind nur vereinzelt Menschen zu sehen. Eine Mitarbeiterin schnappt sich einen Wagen und beginnt die einzelnen Artikel zu scannen und in eine "Rebin Wand" einzusortieren. Diese gelbe Rollwand ist unterteilt in viele kleine Fächer, die jeweils mit Nummer und Buchstaben versehen sind. Der Computer sagt der Mitarbeiterin nach dem Einscannen, in welches Fach der Artikel gehört. Erst an dieser Stelle werden die Waren von Mehrfachbestellungen zusammengeführt.

Einzelbestellungen hin zur Verpackung

Einzelbestellungen werden direkt in Totes gepackt und über Förderbänder hinunter zum Verpackungsarbeitsplatz gefahren. Auch hier wurden die Produkte zuvor in Rebin Wände einsortiert. Vor jedem Verpacker steht eine gelbe Rebin Wand. Aus ihr nimmt er das Produkt, scannt es ein und bekommt die richtige Verpackungsgröße angezeigt.
Der Verpacker schnappt sich den Artikel, die Werbeflyer sowie das Füllmaterial und schließt das Paket. Mit einem kurzen Handgriff klebt er noch Klebeband auf das Paket. Und schon geht es weiter auf das nächste Förderband. Für die Abfolgen der Handgriffe hat der Verpacker seine ganz persönliche Technik entwickelt und beherrscht sie im Schlaf.

Ab in den LKW

Das Förderband bringt das fertig verpackte Produkt in eine weitere Halle. Es riecht hier nach Karton und Klebstoff, die Rollen der Bänder rattern. Menschen sind hier überflüssig, hier regiert allein das alles steuernde System.
Am Halleneingang, wo das Förderband von einer Halle in die nächste übergeht, sind die Rollen schräg ausgerichtet. Alle Pakete landen dadurch alle rechts auf dem Band und werden gescannt. An einem weiteren Punkt auf dem Förderband bekommen sie den Adressaufkleber, werden gewogen und dann frankiert. Damit sind die Pakete fertig für die Auslieferung.
Das Logistikzentrum in Graben hat eine Direktanbindung an DHL. Über 20 Liefertore können hier Waren in LKWs ge- oder entladen werden. Sowohl per Handverladung oder auch über Förderbänder, die bis in den LKW reichen.
Vom Eingang in die erste Halle bis zur Beladung in den LKW legt ein Paket zahlreiche Kilometer auf den Förderbändern zurück. Im letzten Lieferschritt kommen dann noch die Kilometer bis zur Haustür des Bestellers hinzu, bis die ersehnte Ware endlich an ihrem Zielort angekommen ist.




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