Carola Wahl: „Kunden wollen den Austausch“

Nachdem Carola Wahl bei der Telekom Deutschland unter anderem für den Handel verantwortlich war, ist sie in die Versicherungsbranche der Schweiz gewechselt. Heute sitzt Wahl in diversen Aufsichtsräten und berät Unternehmen bei ihrer Datenstrategie und der digitalen Transformation.

Telecom Handel: Sie haben die letzten fünf Jahre in der Schweiz gelebt und kommen jetzt zurück nach Deutschland. Was unterscheidet den Schweizer vom deutschen Handel?

Carola Wahl: Die Schweiz hat nicht nur gute Schokolade und viele Kühe, sondern ist auch ein sehr innovatives Land, laut Global Innovation Index 2020 ist es sogar das innovativste der Welt. Bei unserem Hofladen gegenüber zahlen wir kontaktlos über das Smartphone mit Twint, einem von allen Banken unterstützten Mobile Payment System, das nächstes Jahr auch auf den deutschen Markt kommt. ‚Scan and Go‘ gibt es bereits seit 2014 bei der Migros und Coop. Interessant ist auch, wie lokale Anbieter wie Digitec/Galaxus Amazon in der Schweiz in Schach halten. Sie machen einen fantastischen Job, aber es hilft natürlich auch, dass Amazon in der Schweiz keinen eigenen Online-Shop hat und die Lieferung aus dem Ausland länger dauert. Die Dynamik im E-Commerce ist aber vergleichbar mit Deutschland.

Amazon hat in Deutschland eine unglaubliche Marktmacht, die durch Corona deutlich angestiegen ist ...

Wahl: Richtig. Amazon ist in Deutschland ganz klar der Krisengewinner des pandemiebedingten E-Commerce-Booms, der wohl auch dieses Jahr weitergehen wird. Für 2021 hat der Handelsverband Deutschland (HDE) die Prognose für den E-Commerce mit einem Plus von 19,6 Prozent auf 85,1 Milliarden Euro gerade nach oben korrigiert. In der Kategorie CE entfielen 2020 bereits mehr als zwei Drittel auf Amazon, den Eigenhandel und den Amazon-Marktplatz, wobei das Wachstum bei Amazon in Deutschland ganz klar aus dem Bereich Marktplatz kommt. Nur noch 28 Prozent aller E-Commerce-Umsätze im CE haben nicht in irgendeiner Weise mit Amazon zu tun.

Das sind alarmierende Zahlen. Was muss ein Händler heute in die Wege leiten, um auch in fünf Jahren noch erfolgreich zu sein?

Wahl: Zunächst einmal: Laut der Aussagen meiner ehemaligen Kollegen der Telekom ist der TK- und CE-Handel relativ gut durch die Krise der letzten 17 Monate gekommen. Das freut mich sehr und beweist einmal mehr, wie agil und anpassungsfähig die Branche ist, was eine gute Voraussetzung für den weiteren Erfolg der kommenden Dekade sein dürfte. Und jetzt, wo wir aus der Krise kommen und die Wirtschaft sich erholt, ist sicherlich ein guter Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob man als Unternehmen für die nächsten Jahre strategisch gut aufgestellt ist.

Aber würden Sie Händlern raten, sich am Amazon-Marktplatz zu beteiligen?

Wahl: Es gibt ja nicht nur Amazon, es gibt noch weitere Marktplätze wie beispielsweise von Otto, auch Media-Saturn kommt mit einem Marktplatz. Fakt ist, dass das zukünftige Wachstum hauptsächlich aus dem Digitalbereich kommen wird. Die zentralen Fragen sind also: Welche digitalen Kanäle muss ich in Zukunft als Händler bespielen? Welche Rolle wird Social Commerce spielen und wie funktioniert das? Wie bieten wir dem Kunden ein exzellentes, kanalübergreifendes Einkaufserlebnis auf der Basis von Kundendaten? Haben wir dafür die richtigen Technologiepartner ausgewählt? Das zu verstehen, halte ich für elementar wichtig.

Wir sprachen jetzt viel über E-Commerce, aber was ist mit den Geschäften vor Ort? Wie ist die künftige Rolle des stationären Handels?

Wahl: Wir Menschen brauchen den Kontakt mit anderen Menschen, das ist uns in der Pandemie allen schmerzlich bewusst geworden. Deshalb werden nach meiner Ansicht die Shops und der menschliche Kontakt wichtiger denn je. Laut Studien freuen sich 75 Prozent der Menschen darauf, wieder in die Läden zurückzukehren. Die überwiegende Mehrzahl der Kunden, die in den vergangenen Monaten ja durchaus positive Erfahrungen mit E-Commerce gemacht haben, wollen weiterhin den persönlichen Austausch – erwarten aber auch mehr Service und Inspiration, wenn sie sich schon auf den Weg machen. Wenn sie dann auf freundliche, aufmerksame und kompetente Mitarbeiter treffen, kommen sie auch gerne immer wieder.

Wird die Frequenz im stationären Handel denn zurückkehren?

Wahl: Das ist natürlich die große Frage, die ja auch davon abhängt, wie stark sich Homeoffice dauerhaft durchsetzt. Menschen im Homeoffice haben laut Studien in der Pandemie häufiger online und beim Laden um die Ecke eingekauft. Städteplaner gehen deshalb davon aus, dass die Frequenz und auch die Mobilität, vor allem in den Innenstädten, reduziert bleiben und sich mehr in Subzen­tren verlagern. Die Städte achten darauf, dass ihre Innenstädte lebendig bleiben. Bei reduzierten Mieten in den Innenstädten können sich künftig neben Handel auch vermehrt Handwerk, Produktion und Wohngebäude ansiedeln. Ich finde das eine durchaus positive Entwicklung.

Die Frequenz wird sich also verlagern?

Wahl: Ja, auch weil Konzepte wie zum Beispiel ‚Click & Collect‘ nun bei den Kunden bekannt und beliebt sind. Viele Händler ­bieten schon heute den Rückkauf von gebrauchter Ware an, die dann umweltfreundlich entsorgt wird. Vielleicht könnte der Handel Dienstleistungen wie diese noch mehr in den Vordergrund stellen, Nachhaltigkeit spielt ja eine immer wichtigere Rolle in unserer Gesellschaft.

Sind denn die Kunden auch bereit, hierfür mehr zu bezahlen?

Wahl: Das Bewusstsein der Verbraucher für Nachhaltigkeit und Umweltschutz hat sich durch die Pandemie und auch die schweren Überschwemmungen noch einmal merklich geschärft. Neben dem Service ist Nachhaltigkeit das zentrale Argument für die Akzeptanz der Kunden, auch einen höheren Preis zu bezahlen. Je nach Studie sind 25 bis 50 Prozent der Verbraucher bereit, für ethische Praktiken und nachhaltige Produktion mehr Geld auszugeben.

Carola Wahl ist eine der Top-Sprecherinnen auf dem Branchentreff von Telecom Handel – Commu­nicate!. Seien Sie mit dabei und ­diskutieren Sie mit anderen Händlern und Top-Managern der Branche über die Themen des Markts. Die Communicate! findet am 16. September statt.