Digitale Überwachung
08.08.2018, 10:36 Uhr
Datenschützer bringen Staatstrojaner vors Gericht
Ob Online-Kauf, Arztrecherche oder Partnersuche - bei vielen ist das Smartphone in allen Lebenslagen dabei. Dass Kriminalpolizisten die Geräte von Verdächtigen neuerdings heimlich anzapfen dürfen, alarmiert Bürgerrechtler. In Karlsruhe formiert sich Widerstand.
Der heimliche Einsatz sogenannter Staatstrojaner auf Smartphones, Tablets und Computern zur Verbrecherjagd verletzt nach Auffassung von Datenschützern gleich mehrere Grundrechte. Den Ermittlern entstehe "ein Persönlichkeitsbild, das umfangreicher und gläserner nicht sein könnte", kritisierte der Rechtsprofessor Jan Dirk Roggenkamp am Dienstag in Karlsruhe, der eine Verfassungsklage des Vereins Digitalcourage mit ausgearbeitet hat. Es finde ein "Auslesen von Gedanken" statt. "Wir haben den Zugriff auf alles."
Seit Sommer 2017 darf die Polizei zur Aufklärung zahlreicher Straftaten nicht nur Telefone abhören, sondern auch Nachrichten über Messenger-Dienste wie WhatsApp mitlesen. Dafür nistet sich auf dem Handy unbemerkt vom Nutzer eine Spionage-Software ein. Sie greift die Kommunikation beim Schreiben oder Lesen ab, solange sie nicht für den Versand verschlüsselt ist (Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder "Quellen-TKÜ"). Noch weiter geht die Online-Durchsuchung, bei der die Ermittler sämtliche Daten durchforsten dürfen. Vorher waren solche Maßnahmen nur zur Terrorabwehr erlaubt. Gegen die neuen Befugnisse (Paragrafen 100a und 100b der Strafprozessordnung) reichte Digitalcourage nun Klage beim Bundesverfassungsgericht ein.
Online-Durchsuchung
Zur Online-Durchsuchung haben die Richter 2008 schon einmal geurteilt. Damals begründeten sie ein neues "Computer-Grundrecht" auf Vertraulichkeit der Informationstechnik. Schwerwiegende Eingriffe sind demnach nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen.
Digitalcourage kritisiert unter anderem, dass die "Quellen-TKÜ" nicht nur bei Schwerverbrechen zugelassen ist, sondern beispielsweise auch beim Verleiten zu missbräuchlichen Asylanträgen. Die Bürgerrechtler sehen zudem die Gefahr, dass Sicherheitslücken offengehalten werden, um die Trojaner einzuschleusen. Das könnten Kriminelle ausnutzen.
Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, verteidigte die neuen Ermittlungsmethoden. "Wir leben im Zeitalter verschlüsselter Kommunikation. Bei besonders schweren Straftaten muss es im Einzelfall und auf Grundlage einer richterlichen Anordnung möglich sein, diese zu überwachen", sagte er dem "Handelsblatt".
Häufigkeit des Einsatzes von Staatstrojanern
Nach einem Bericht des Portals netzpolitik.org, der sich auf ein als Verschlusssache eingestuftes Protokoll zweier Sitzungen des Bundestags-Innenauschusses im Juni stützt, will die Bundesregierung nicht offenlegen, wie oft Staatstrojaner schon eingesetzt wurden. Die Zahl von "Quellen-TKÜ" in nicht abgeschlossenen Fällen ist demnach laut BKA aber bisher sehr gering. Die Kläger von Digitalcourage gehen davon aus, dass es bis jetzt keine Online-Durchsuchungen gab.
Beim Verfassungsgericht ist bereits eine andere Beschwerde gegen den Staatstrojaner anhängig. Der Bundesverband IT-Sicherheit (TeleTrust) hatte 2017 eine Klage angekündigt. Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bereitet eine Verfassungsbeschwerde vor. Die FDP will ebenfalls klagen, wie Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte.